Leichtmetall: "Wir sind Blumen" (Karaoke Kalk / Soulseduction; erhältlich ab 17. Juli)

Coverfoto: Karaoke Kalk
Sommerbläserblues: Irgendwo in Wien ist jetzt immer ein Blasmusikkonzert. Und da der tägliche Klimaanlagenstreit in der Redaktion meist zu Gunsten der FensteraufmacherInnen ausgeht, können die Klänge von weither zu uns in den obersten Stock hereinwehen. Wäre nicht weiter schlimm, würde es nicht so schematisch ablaufen: Mit dem Radetzky-Marsch beginnt's, mit "Dancing Queen" versandelt's. Geht doch auch anders:

Marion Dimbath war in den 90ern Posaunistin bei den bayerischen Merricks, einer Band, die sich der Fusion von Pop, volksmusikalischen Einflüssen und einer Liebe zur Disco-Ära der 70er Jahre verschrieben hatte. Gemeinsam mit der Münchener Klarinettistin und Saxofonistin Nicola Schüpferling bildet Dimbath das Duo Leichtmetall - nicht minder grenzgängerisch und nun bereits mit dem zweiten Album auf dem Markt.

Wir sind keine Kabarettisten ...

Der erste Eindruck wird bei ungefähr niemand am Wort "skurril" vorbei kommen - weiter geht es dann nach Geschmack; Begeisterung ist ebenso möglich wie Irritation. Zunächst einmal verfliegen sämtliche Volkstümlichkeitsassoziationen, die sich beim Sound einer Tuba aufdrängen wollen - selbst in Form ironischer Brechung oder sonstiger Neudefinition wären solche Verweise unpassend. Die Harmonien, zu denen Marion und Nicola ihren distanziert wirkenden Stereo-Gesang ablaufen lassen, stammen eher aus Bereichen wie Chanson oder Arbeiterkampfliedern der 30er Jahre. Wenn für "Im Klimawandel" der Bass Bocksprünge macht und sich dazu ein schummernder Keyboard-Akkord und gedämpfte Hörner gesellen, glaubt man sich gar ins Heimstudio von Stereolab versetzt; ähnlich bei "Der Große Tag".

"Füchschen" ist eine soundmäßige Landpartie mit Gitarre, Banjo und Waschbrett - und um Sehnsucht nach Luft und Sonne scheint es in der Mehrzahl der Stücke zu gehen. Scheint, weil sich die eigenwilligen Gesangsparts zwischen Selbstreflexion und Naturbeobachtung einer eindeutigen Zuordnung entziehen. "Am schönsten ist's daheim (...) wir trinken Wein, schauen fern, haben keinen Schimmer" - eine Persiflage auf Neo-Biedermeierei als Schlüssel zum Verständnis? Beschwören würde ich es nicht: "Willkommen in der Illusion" - diese Welt bleibt ziemlich abgeschottet und frei nur für Spekulationen.

... und haben uns keinen Witz ausgedacht

Ist auch gar nicht mal so wichtig, denn der Gesang ist letztlich nur eine von mehreren Klangschichten, die sich hier über- und ineinander legen. Das Glockenspiel nimmt dabei einen der wichtigsten Parts ein - im Opener "Wir sind Blumen" und noch deutlicher in Stück 4, "Au Bord De La Seine", das wie aus einer Spieldose abgespult klingt.

Am spektakulärsten am Sound von Leichtmetall ist aber die harmonische Zusammenführung von analogen Synthesizern und verschiedensten Blechblasinstrumenten, sehr schön in "Erkennen im Individuum" etwa, und als Höhepunkt: "Wir sind keine Kabarettisten". Wer schon mal bei einem Tattoo dabei war (also einer "Blasmusikdarbietung in Bewegung"), stelle sich eine Doppelung dessen vor: Leichtmetall lassen das Blech und eine Batterie aus Synthesizern aufeinander losmarschieren, die Formationen ineinander verschränken und ein harmonisches - nichtsdestotrotz aber mitreißendes - Ganzes bilden.

Wie F.S.K. und Ja König Ja betritt hier eine Band Neuland, indem sie geläufige Stilelemente auf eine so noch nicht gehörte Art vermischt. Ihre Ausbildung ist professionell, ihr Zugang völlig unverkrampft - neue Sounds werden nicht mühsam auf dem Reißbrett zusammengekleistert, sie ergeben sich mit erstaunlicher Leichtigkeit von selbst. - Wieder mal so eine Platte zum Lieben oder Hassen, in jedem Fall aber Staunen. Zwei oder drei davon pro Jahr, und es ist ein gutes. (Josefson)