"Manchmal glaub ich, ich bin im falschen Film": Ute Bock erzählt beim "Tatort"-Schauen von ihrem Leben als Flüchtlingshelferin.

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Harald Krassnitzer ermittelt im neuen "Tatort" unter Asylwerbern nach dem Drehbuch von Felix Mitterer. Flüchtlingshelferin Ute Bock kam zum Standard, sah den Film und erzählte von einer ungleich grausameren Wirklichkeit: "So schlimm wie jetzt war's noch nie."

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"Aufstehen tut sie genauso schlecht wie ich", sagt Ute Bock und lacht. Ruth Drexel erhebt sich mühevoll vom Tisch. Im neuen "Tatort" spielt sie die Chefin einer Pension, in der Asylwerber untergebracht sind. "Tod aus Afrika" heißt die vom ORF produzierte Folge, wieder ermittelt der melancholische Kommissar Moritz Eisner, gespielt von Harald Krassnitzer. In einer Tiroler Pension, in der Flüchtlinge untergebracht sind, wird ein schwarzafrikanischer Asylwerber brutal erschlagen.

"So schlimm wie jetzt war's noch nie."

"Zum Fernschauen komm' ich seit einem halben Jahr nicht mehr", klagt Bock. Die 64-Jährige kümmert sich von ihrem Büro im zweiten Wiener Gemeindebezirk aus um Flüchtlinge. Von acht Uhr früh bis zehn Uhr abends organisiert sie Schlafplätze und Mahlzeiten, kümmert sich um rechtliche Beratung und Deutschkurse. Nach dem abendlichen Termin beim STANDARD wird sie noch Semmeln austragen fahren. Damit die Bewohner etwas zu essen haben. Erst neulich sei eine Frau vom Sessel gerutscht, ein Schwächeanfall. Bock: "So schlimm wie jetzt war's noch nie."

Der Hauptverdächtige ist schnell gefunden - ausgerechnet der Deutsche im schönen Tirol. Scheinbar eindeutige Beweise werden serviert. "Der ist es nicht", sagt Ute Bock lapidar. Sie kennt die Dramaturgie von Krimis.

"Wir schaufeln unser eigenes Grab."

Gut findet sie es, wenn das Flüchtlingsthema in den Medien vorkomme, "wenn die Leute mehr darüber wissen, wie es wirklich ist", meint Bock: "Wir schaufeln unser eigenes Grab." Dass Straftäter nicht abgeschoben würden, um Angst und Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren, vermutet sie gar.

Der Kommissar untersucht mit ausgesuchter Milde. Gibt's solche wirklich? "Es wäre nicht schlecht, wenn alle so wären", meint Bock. Einmal habe sie mit einem gesprochen, der anlässlich des Falls eines betrunken Auto fahrenden Ausländers meinte: Der sei integriert, der gehöre eingebürgert. Aber sie habe auch mit "Grauslichen" zu tun: "Bei der Polizei sind schon so viele über die Stiegen gefallen. Eigentlich müssten die langsam Probleme mit der Baupolizei bekommen."

"Ich muss auch oft schimpfen"

Die resolute Ruth Drexel gefällt Bock: "Ich muss auch oft mit den Leuten schimpfen, aber sie wissen, dass ich es es gut meine." Einschränkungen behält sie sich dennoch vor: Schuldige vor der Polizei schützen, wie es Drexel tut? "Das bringt nichts."

Die Tiroler Flüchtlingsidylle, die Einbindung von organisiertem Verbrechen: "Unrealistisch", urteilt Bock. Sie erzählt von anderen Dingen: Dass Drogen öffentlich verkauft werden, die großen Dealer unbehelligt bleiben, harmlose Flüchtlinge aber von Polizei und Bürokratie schikaniert werden. Von Tschetschenen, die hier aufwachsen, um als Erwachsene wieder in den Krieg in ihrem Herkunftsland zurückzukehren. Dass Menschen monatelang eingesperrt werden, nur weil die Behörden es nicht schaffen wollen, die Echtheit eines Passes bei der Botschaft bestätigen zu lassen: "Manchmal glaub' ich, ich bin im falschen Film."

Die üblichen Klischees

Die Ostmafia kommt ins Spiel: "Der Tschetschene im Film ist genau so, wie ihn die Kronen Zeitung beschreibt", sagt Bock. Das veranlasse die Leute zu sagen: "Ich hab's ja gewusst, dass die so sind."

"Dass die Folge dazu beiträgt, Asylwerber nicht allesamt als potenzielle Schwarzarbeiter zu sehen, sondern als Menschen, die das minimale Recht wahrnehmen wollen, auch menschenwürdig leben zu dürfen", wünschte sich Harald Krassnitzer laut tv-media vom "Tatort".

Ute Bock glaubt genau das Gegenteil: "Was ich mir vorgestellt habe, erreicht es nicht. Nämlich, dass man zeigt, dass das nicht alles Wilde und Kriminelle sind, dass nicht suggeriert wird, dass es undurchsichtige Geschichten sind, mit denen die zu uns kommen. Es sind wieder nur die üblichen Klischees." (Alois Pumhösel Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 1./2.7.2006)