Egoismus, allein das Wort war für Gerda immer negativ besetzt. Egoisten waren Menschen, die sich nicht engagierten, nicht für eine Sache brannten – nur an sich selbst dachten. Sie selbst war keine Egoistin. Schon während ihres Studiums (Publizistik, Pädagogik) in Wien ist sie für die Hochschülerschaft aktiv, wird Tutorin und beginnt für eine Non-Profit- Organisation zu arbeiten. Ihr Engagement wird größer, das Studium abgebrochen, die Aufgaben werden immer mehr. Irgendwann, da ist sie 23 Jahre alt, übernimmt sie eine Führungsposition – nicht angestellt und unterbezahlt – und koordiniert plötzlich mehr als 400 freie Mitarbeiter und trägt einen Berg an Verantwortung.

Entscheidungsträgerebene lebt das manische Arbeitsmuster vor

"Es war eine solche Ehre, diesen Job zu bekommen", erinnert sich Gerda, mittlerweile 30, an die Anfänge eines Prozesses, mit dessen Folgen sie noch heute kämpft. Die Ehre war so groß, dass sie vergisst, dass sie mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet, nur ein Wochenende im Monat frei hat, auch spät nachts und früh morgens von zu Hause aus Mails beantwortet.

Auf Entscheidungsträgerebene wird dieses Muster vorgelebt – wer Privatleben hat, ist selbst schuld. Nein, energielos hat sie sich damals nicht gefühlt. Im Gegenteil: Sie war wie aufgezogen, hatte ständig zu tun, musste ständig etwas tun. Wenn Gerda ihre Geschichte erzählt, verwundert das. Sie ist ganz das Gegenteil eines Menschen, der – rein äußerlich – mit Burnout in Zusammenhang gebracht wird. Sie ist weder ein fahrige Managertyp, noch wirkt sie penibel oder perfektionistisch. Mit den Dreadlocks, die sie zu einem Zopf gebunden hat, und ihrem Vertrauen erweckenden Blick strahlt sie sogar etwas sehr Robustes aus.

Burnout macht auch vor Non-Profit-Unternehmen nicht Halt

Menschen wie Gerda sind das beste Beispiel, dass das Burnout auch nicht vor Non-Profit-Unternehmen Halt macht und eine basisdemokratische Organisation nicht verhindert, dass Leute unter die Räder kommen. Es gab, sagt sie und zündet sich eine Smart an, zwei Phasen der Erkenntnis. Die erste Phase, in der das Umfeld, ihr Freund und die Freunde, sie ständig darauf aufmerksam machten runterzuschalten. Zweitens ihr Körper, der auch versucht hat, ihr zu sagen, dass es so nicht mehr weitergeht. Sie hat nicht mehr einschlafen können und auch nicht mehr durchschlafen, hatte Albträume in der Nacht und Atemnot beim Aufstehen. Sie war in regelmäßigen Abständen krank – hat sich aber nie auskuriert. Sie lief wie ein Hamster im Rad, stets von einem Gefühl des schlechten Gewissens begleitet. Die innere Leere kam immer nur in den Pausen.

Das Eingeständnis ihrer maroden Befindlichkeit kam erst, als ihr eine Expertin dieses "Ausgebrannt-Sein" attestierte. Das passierte im Zuge eines externen Coachings durch den Arbeitgeber. Auf einer Acht-Phasen-Skala fand sie sich auf Stufe sieben wieder. Stufe 8 lautete: Existenzielle Verzweiflung/Selbstmord. Vielleicht hat die junge Frau in dem Moment das gemacht, wozu anderen in ähnlichen Situationen schlicht die Kraft fehlt. Sie hat gekündigt, weil sie damals erst knapp 27 Jahre alt und familiär noch wenig gebunden war. Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte sie keinen. "Ich konnte nicht mehr arbeiten", sagt sie, "musste mich aber erhalten." In der Folgezeit lebte sie von rund 400 Euro, die sie sich mit kleineren Nebenjobs verdiente.

Die Eltern wissen bis heute kaum etwas vom Zusammenbruch – und dieses Faktum sagt vielleicht auch einiges aus. Gerda wird groß in einem konservativen Umfeld, in dem Arbeit als Lebensberechtigung gilt (Sozialhilfe zu bean 3. Spalte tragen, ist auch deswegen nie infrage gekommen). Die Mutter ist noch immer Parade-Workaholic (der Vater pensioniert), und die beiden älteren Geschwister haben Berufe, die Geld und Prestige einbringen, sie hatte als zwar liebenswertes, aber dennoch schwarzes Schaf der Familie immer einen Satz im Ohr: "Tust du überhaupt was?" Ihre Lebens- und Arbeitswelt, in der Engagement mehr zählt als das, was finanziell herauskommt, kann sie den Eltern bis heute nur schwer vermitteln.

"Natürlich war ich depressiv!"

Das Wort Depression ist im Gespräch mit Gerda nicht gefallen, darauf angesprochen, sagt sie sehr direkt: "Natürlich war ich depressiv!" Was geholfen hat, war, darüber zu reden – zumindest mit ihrem Partner, Freunden und Kollegen. Was bleibt, ist die Frage, warum sie in diese Spirale geraten ist. Die Antwort bleibt sie sich bis heute schuldig, nicht zuletzt deswegen, weil sie sich professionelle, sprich: therapeutische Burnout-Nachbetreuung nicht leisten konnte. Was auch bleibt, sind ein paar Erkenntnisse: dass sie nie wieder so leistungsfähig sein wird wie früher. Dass sie besser definieren muss, was Arbeit und was Freizeit ist. Und: dass sie emotional Abstand zur Arbeit halten soll.

Nach zwei Jahren, sagt Gerda, war der Energie-Level wieder in Ordnung. Die Arbeit, die sie ausgebrannt hat, wird mittlerweile von zwei Menschen geleistet – beide angestellt, sozial abgesichert. Sie selbst arbeitet heute projektbezogen im Coaching-Bereich, stets bedacht, ihre Energien und Ressourcen maßvoll einzusetzen. Zurzeit ist sie für ein Projekt sogar angestellt – für ein Jahr – und macht zum ersten Mal in ihrem Leben bezahlten Urlaub. Sie fährt für drei Wochen in die Arktis, allein. Und das ist nicht egoistisch, sondern nur gut. (DER STANDARD, Printausgabe vom 1./2.7.2006)