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Am Mittwoch wurde in Warschau der Neonazi Karol G. verhaftet. Polizeichef Marek Bienkowski gab bekannt, der wegen eines Angriffs auf einen Polizisten vorbestrafte 33-jährige Fußballrowdy habe gestanden, während des Papstbesuchs in Polen den Oberrabiner Michael Schudrich (Bild) mit einem Reizgas-Spray angegriffen und dabei "Polen den Polen!" gerufen zu haben (derStandard.at berichtete).

Unmittelbar nach der Tat hatte das Innenministerium angegeben, man gehe von "einer gezielten Provokation mit dem Ziel, Polen als ein antisemitisches Land darzustellen" aus.

Foto: APA/epa/Bogdan Borowiak

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Das Europaparlament warnte Mitte Juni vor einem Anstieg von rassistischen und homophoben Übergriffen in der EU.

Die Resolution erwähnt ausdrücklich den Anstieg rassistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Intoleranz sowie von Intoleranz gegenüber Homosexuellen in Polen, der teilweise auch durch religiöse Stellen wie Radio Maria geschürt wird und die Drohungen des Vizevorsitzenden der Regierungspartei LPR, Wojciech Wierzejski, gegen Homosexuelle.

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Polnische Europaabgeordnete wiesen die Homophobie-Vorwürfe zurück. Wojciech Roszkowski von der Regierungpartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) sagte, man könne Rassismus nicht gleichsetzen mit "begründeten Positionen" wie etwa die Ablehnung von Pädophilie. (In der Rhetorik der PiS wird Homosexualität oftmals mit Pädophilie gleichgesetzt, Anm.) "Polen wird niemals zulassen, dass es in den Dreck gezogen wird. Wir verwehren uns gegen diese linksgerichtete Propaganda", sagte Bogdan Pek.

Das Bild zeigt die Samoobrona ("Selbstverteidigung")-Abgeordneten Ryszard Czarnecki, Bogdan Golik und Leopold Józef Rutowicz.

Foto: Reuters/Vincent Kessler

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Auch Rabbi Schudrich verteidigte die polnische Regierung: "Die Warschauer Polizei hat den Vorfall sehr ernst genommen und betreibt ihre Ermittlungen energisch.

Er wies außerdem darauf hin, dass sowohl Präsident Kaczynski als auch Ministerpräsident Marcinkiewicz ihre Empörung und Anteilnahme ausgedrückt hätten. Außenministerin Anna Fotyga habe ihm in einem Brief "den aktiven Kampf gegen den Antisemitismus versprochen".

Gleichzeitig bemerkte Schudrich jedoch, dass er keine Reaktion von der Regierungspartei Liga Polnischer Familien (LPR) erhalten habe.

Bild: Präsident Kaczynski empfängt Rabbi Schudrich zwei Tage nach dem Neonazi-Angriff

Foto: AP/Alik Keplicz

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Und genau die Regierungsbeteiligung der LPR ist es, die in der EU die Alarmglocken schrillen lässt: die nationalistische Partei, die im Wahlkampf unter anderem ein Verbot asiatischer Kultur- und Religionsgemeinschaften forderte und dabei auch gleich Karate-Kurse untersagen wollte (mittlerweile wegen Undurchführbarkeit wieder gestrichen) ist nicht nur ein Sammelbecken für radikale EU-Gegner.

Die Parteiführung hat mehrmals erwogen, einen Beitritt Polens zur nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA zu verlangen und dafür die EU-Mitgliedschaft zu beenden.

Bild: LPR-Vorsitzender und Bildungsminister Roman Giertych, Demonstration gegen Nationalismus

Fotos: APA/epa/AP

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Roman Giertych hat bereits mehrmals die Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Der Bildungsminister will "Patriotismus-Unterricht" einführen, um eine "neue Generation von Patrioten" heranzuziehen, und Religion zum Pflichtfach bei der Matura machen.

Außerdem führte er eine Kampagne gegen die Schwulen-Parade Warsaw Pride und entließ Miroslaw Sielatycki, den Direktor der Zentrale für Lehrerfortbildung (CODN), weil dieser Unterrichtsmaterialien des Europarates zum Thema Menschenrechts-Erziehung drucken ließ.

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In den Unterlagen wird die Diskriminierung Homosexueller verurteilt. Dies widerspräche dem polnischen Lehrplan, argumentierte der Bildungsminister.

Sielatycki zeigte sich völlig überrascht von der Entscheidung des Ministers. Die Veröffentlichung des "Kompass" in Polen - noch unter Giertychs Vorgänger - sei von einer vom Erziehungsministerium finanzierten Fachkonferenz begleitet worden. "Von den 500 Seiten des Buches ist auf zweien von Sex die Rede."

Wenige Tage später wurde ein weiteres Handbuch für die Antidiskriminierungsarbeit an Schulen, das unter Mitwirkung von Experten der österreichischen Anti-Rassismus-Organisation Zara entstand, verboten.

Foto: derStandard.at/Marietta Türk

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Die rechtsextreme Szene Polens sieht sich seit der Regierungsbeteiligung der LPR im Aufwind: Die anti-faschistische Organisation "Nigdy wiecej" ("niemals wieder"), die seit 1989 Übergriffe dokumentiert, verzeichnet jährlich etwa hundert Angriffe von Neonazis auf Juden, Ausländer, Homosexuelle, Linke und Obdachlose.

Der Anarchist Maciej Dowhyluk wurde in der Nähe seiner Wohnung von zwei Skinheads niedergestochen und schwer verletzt. Mitglieder des jüdischen Studentenverbandes wurden per SMS bedroht.

Foto: APA/epa/Tomasz Gzell

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Bei der "Warsaw Pride"-Parade zückten kahl geschorene Gegendemonstranten immer wieder Foto-Handys. Bilder von Anarchisten und Schwulen, Feministinnen und Linken werden gesammelt und mit persönlichen Informationen wie Telefonnummern und Wohnadressen auf einer Webseite veröffentlicht.

Der mutmaßliche Administrator der "Redwatch"-Seite wurde kürzlich in Wroclaw verhaftet, mehr können die polnischen Behörden dagegen nicht tun: Die Seite liegt auf einem Server in den USA, wo das Grundrecht der freien Meinungsäußerung auch Neonazis und ihre Hass-Tiraden schützt. (bed)

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