Düsseldorf - Trotz überschäumender Freude in den Stadien könnte die WM 2006 mit einem Negativrekord enden. In den bisherigen 56 WM-Spielen fielen im Durchschnitt gerade einmal 2,36 Tore. Damit liegt das Turnier 2006 vorerst auf dem vorletzten Platz der Tor-Statistik. Nur 1990 in Italien wurden mit 2,21 Toren durchschnittlich weniger Treffer erzielt als bisher in Deutschland.

Dabei ging das Turnier so schwungvoll los: "Viele haben gesagt, das wird eine torarme Weltmeisterschaft geben. Aber sechs Tore - das ist Wahnsinn", jubelte Brasiliens Torjäger-Legende Pele nach dem berauschenden Eröffnungsspiel. Doch dann war des öfteren Magerkost angesagt. Sechs Tore in einem Spiel gab es nur noch einmal, als die Elf von Serbien und Montenegro im Angriffswirbel der Argentinier unterging. Besonders wirkungslos blieben die Angriffsreihen aus Trinidad und Tobago sowie aus Togo, die mit keinem bzw. einem Torerfolg nach Hause fahren mussten.

Selbst einige der WM-Favoriten geizten mit Toren: So verabschiedeten sich die hoch eingeschätzten Niederländer und Tschechen mit drei Treffern aus dem Turnier. Im Elfmeterschießen im Achtelfinale gegen die Ukraine setzten die Schweizer nach 120 torlosen Minuten eins drauf: Als erste Mannschaft der WM-Geschichte brachten sie keinen einzigen Elfmeter im Tor unter.

"Dass weniger Tore gefallen sind, liegt vor allem an den enorm kampfstarken Abwehrreihen", sagt Gunnar Gerisch, Fußballtrainer-Ausbilder an der Deutschen Sporthochschule in Köln. "Ich habe kaum einen Verteidiger gesehen, der nicht auf höchstem konditionellen Niveau gespielt hat." Die kreativen Denker und Lenker im Mittelfeld konnten den Experten dagegen weniger überzeugen: "Spieler wie Zidane oder Figo, die früher jederzeit für Überraschungsmomente sorgen konnten, haben ihren Zenit offensichtlich überschritten."

So manchem Top-Team sei "Fähigkeit zum tödlichen Angriff" etwas abhanden gekommen, bedauert der Taktik-Experte. "Es zeigt sich wieder einmal, dass es einfach nicht genügt, ein starkes Kollektiv aufs Feld zu schicken. Man braucht überragende Spieler, die eine Partie mit Einzelaktionen entscheiden können."

Zwar hätten sich gerade die Mannschaften aus Asien, Afrika oder Mittelamerika taktisch stark verbessert präsentiert. "Aber sie konnten ihre Gegner zu selten unter Druck setzen." Viele Mannschaften seien zwar in der Lage gewesen, ein Spiel über längere Zeit in Balance zu halten und Gegentore zu verhindern. "Aber gleichzeitig hatten sie keine Chance, das Spiel für sich zu entscheiden."

In punkto Torausbeute war früher tatsächlich alles besser, wie ein Blick in die WM-Statistik beweist: In der "ewigen" Torstatistik von Fußball-Weltmeisterschaften belegen die sechs Titelkämpfe der 30-er und 50-er Jahre mit deutlichem Abstand und jeweils über 3,5 Toreschnitt die ersten sechs Plätze. Die weitaus meisten Tore bekam das Publikum bei der legendären WM 1954 zu sehen: Pro Spiel zappelte der Ball 5,38 Mal im Netz. Auch das in 90 Minuten torreichste Spiel der WM-Geschichte fand 1954 statt, als Österreich Gastgeber Schweiz mit 7:5 bezwang.(APA/AP)