Spieglein, Spielglein an der Wand ... du bist die Schönste hier. Doch das wird nicht so bleiben. Der digitale Spiegel kann nämlich in die Zukunft schauen.
Foto: Der Standard
Der Mann fühlte sich wie in einem grotesken Albtraum. Ein dickes, aufgedunsenes Gesicht blickte ihm entgegen, blass, mit schwammigen Zügen. So also könnte er in einigen Jahren aussehen. Sofern sich die Nahrungsaufnahme weiter zwischen fettem Fleisch, Tortenbergen und Snacks zum Fernsehabend abspielen würde. Der digitale Spiegel hat es ihm gezeigt. Ein Spiegel, der hellseherische Fähigkeiten hat.

Was nach einem Mystery-Thriller klingt, kommt aus den Accenture Technology Labs in Südfrankreich. Dort haben Forscher ein Möglichkeit geortet, wie man Gesundheitsmuffel mit Übergewicht zum Umdenken motivieren könnte. Die Schlussfolgerung: Gute Ratschläge prallen an vielen Kilos leicht ab. Jede Technologie, die Ernährungsgewohnheiten verändern will, benötigt Bilder. Aber nicht ästhetische Darstellungen von schlanken Models nach der Superdiät. Sondern eine direkte, drastische Variante mit Überzeugungskraft. Die Lösung: Mit einen digitalen Spiegel lässt sich künftiges Aussehen visualisieren.

Sanktionen durch "Captology"

"Das Bild kann Menschen schockieren, die nicht auf ihre Gesundheit achten, und es kann solche Personen belohnen, die beispielsweise ihr Gewicht senken", meint Martin Illsley, Direktor der Forschungs-Einrichtung des globalen Management-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleisters Accenture. Eineinhalb Jahre benötigte die Entwicklung des Prototypen.

Der Ansatz der Technologieentwickler heißt "Captology": Die Computer and Persuasive Technology beschäftigt sich mit dem Einsatz von Rechnern zur Beeinflussung von Verhalten und Einstellung. Oberflächlich betrachtet ist auch dieser Spiegel ein simples Accessoir für Badezimmer. Dahinter wartet komplexe Technologie: Die Daten werden über Webcams sowie Sensoren, die überall im Wohnbereich platziert werden, bezogen. Das Beobachtungssystem dokumentiert einschlägige Aktivitäten wie den Griff zur Bierflasche im Kühlschrank, die Benutzung des Heimtrainers oder den Sitzmarathon auf einem Sofa. Eigene Programme analysieren solche Information und ermitteln, wie das Verhalten die Gesundheit beeinträchtigt. Der Spiegel selbst hat zwei Kameras, die sich an den Seiten eines Flachbildschirms befinden - aus Videobildern entsteht die realistische Wiedergabe eines Spiegelbilds. Mit Hilfe einer Bildbearbeitungstechnologie und spezieller Software lässt sich erkennen, wie sich etwa das Gesicht eines Couch Potatoes künftig unvorteilhaft verändern wird.

Darüber hinaus werden zusätzliche Informationen verarbeitet: Die UserInnern sehen beispielsweise die Konsequenzen exzessiver Sonnenbäder oder wie sich Spaziergänge und Jogging ansprechend auf sein Äußeres auswirken.

Der Spiegel soll unter anderem bei wissenschaftlichen Studien der University of California in San Diego zum Einsatz kommen. Er soll auch der Pharma-, Gesundheits- und Versicherungsbranche eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten bieten. In absehbarer Zeit werden sich sich sogar Folgen von Drogenkonsum, Nikotin oder Alkoholmissbrauch eindringlich darstellen lassen. Illsley: "All jene Probleme, verursacht durch falsche Ernährung, zu viel Gewicht, mangelnde Bewegung oder Rauchen, lassen sich mit einer Verhaltensänderung lösen. Deshalb denken wir nach, wie neue Technologien die Menschen zu gesünderen Lebensweisen bewegen können." (pren/DER STANDARD, Printausgabe 28.06.2006)