EU-Parlamentarier Elmar Brok: "Über die Aufnahmefähigkeit der Union müssen wir diskutieren, das ist doch enorm wichtig."

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EU-Parlamentarier Elmar Brok weist im derStandard.at- Interview mit Hans Rauscher Kritik zurück, die Fortschritte der österreichischen EU-Präsidentschaft wären "nur" atmosphärisch gewesen. Gerade das sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Noch vor einem Jahr habe die EU "ziemlich in der Hilflosigkeit" gestanden, heute sähe man zumindest "Ansätze, wie es weitergehen kann."

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derStandard.at: Sie haben sich freundlich über die österreichische Präsidentschaft geäußert. War sie wirklich so gut?

Brok: Wir haben verschiedene Dinge vom Tisch gekriegt und wir haben eine neue Stimmungslage.

derStandard.at: Das ist ja aber gerade die Kritik: die Fortschritte sind eher atmosphärisch.

Brok: Wir haben die Finanzperspektiven vom Tisch, insgesamt ist ja so, dass wir vor einem Jahr ziemlich in der Hilflosigkeit standen; heute sieht man Ansätze, wie es weitergehen kann.

derStandard.at: Hat das etwas an der EU-Skepsis in der Bevölkerung, auch in den Eliten, geändert?

Brok: Da scheint sich doch schrittweise was zu ändern, das ist ja ein langer Prozess, aber vor allem haben wir selbst wieder einen Zielrichtung und Fahrpläne, dass man die Dinge wieder ordnet – Verfassungsdebatte, Verhältnis von Erweiterung und Vertiefung usw. Der richtige Schwung mit der Verfassung kann erst nach den französischen Präsidentschaftswahlen kommen. Aber die deutsche Ratspräsidentschaft ab 2007 hat damit einen 12monatigen Vorlauf.

derStandard.at: Vor über 100 Jahren hat ein österreichischer Ministerpräsident gesagt, man werde eben "fortwursteln". Die EU erinnert da etwas an die Monarchie in ihrem Niedergang.

Brok: Nein, im Gegenteil. Wir hatten ja nichts vor einem Jahr. In den Gremien sind die Diskussionen wieder nach vorne blickend, es ist noch nicht alles gelöst, die Depression ist überwunden, man sucht wieder nach Lösungen, das Ding flott zu machen.

derStandard.at: Es gibt aber den Vorwurf, dass die EU zerbröselt oder sich übernimmt. Sie selbst sagten, Bulgarien und Rumänien seine 2007 nicht beitrittsreif. Der Beitritt der Türkei scheint auf den St. Nimmerleinstag geschoben . . .

Brok: Was ist da schlimm dran, dass es mit der Türkei Schwierigkeiten gibt?

derStandard.at: Viele werden das so sehen, aber es erzeugt den Eindruck der Orientierungslosigkeit.

Brok: Nein, das gehört zu dem, was ich über die neue Balance zwischen Vertiefung und Erweiterung gesagt habe, dass wir nämlich jetzt ernsthaft über die Grenzen der EU diskutieren. Und wir diskutieren auch, dass wir mit der Gesetzgebung nicht übertreiben – wir müssen fragen: wo sind da die Grenzen? Aber auch über die Aufnahmefähigkeit der Union müssen wir diskutieren, das ist doch enorm wichtig.

derStandard.at: Besteht da nicht Gefahr, dass der Beitritt von Kroatien, ein österreichisches Herzensanliegen, unter die Räder kommt?

Brok: Nein, denn Kroatien gilt mehr als Bestandteil der so genannten fünften Erweiterung. Es geht darum, dass man im Herbst versucht, die Verhandlungsstränge zwischen Kroatien und der Türkei aufzuspalten. Deswegen gibt es ja auch vorbereitende Dinge: mit der Türkei werden die Finanzdinge erst 2014 verhandelt, diese Einschränkung gilt für Kroatien nicht, und das Referendum in Frankreich gibt es nur für die Türkei, noch nicht für Kroatien.

derStandard.at: Sie selbst haben eine so genannte "Partnerschaft plus" für die Türkei vorgeschlagen.

Brok: Ich bin dafür, dass wir so eine Art Europäischen Wirtschaftsraum haben, da war ja Österreich vor seinem Beitritt auch drin, einen multilateralen Verband, in dem Länder sehr schnell herangeführt werden und am Ende des Tages kann man ja sehen, ob sie Vollmitglieder werden oder nicht. Das war ja auch schon beim alten EWR der Fall, Österreich wurde Mitglied, Norwegen hat eine andere Entscheidung getroffen.

derStandard.at: Ist das nicht unangebrachter Optimismus? Brok: Nein, wir müssen diese Linie noch präzisieren, die Finnen werden den Verfassungsvertrag ratifizieren, nach den Parlamentswahlen in Schweden könnten die vielleicht auch ratifizieren. Wir müssen parallel fahren: die eigenen Sachen besser machen, damit uns das die Bürger abnehmen, ratifizieren, wo es geht, und dann im Frühjahr 2007 schauen, was möglich ist.