Alfred Gusenbauer sollte sich momentan wahrscheinlich eher nicht in die Nähe der Gewerkschaftszentrale wagen - seine Ankündigung, Nationalratsmandate und ÖGB-Führungspositionen künftig zu trennen, stößt in weiten Teilen der Gewerkschaft auf Widerstand. Wir wollten von Politikforscher Peter Hajek wissen: Hat die Gewerkschaft Grund, böse zu sein? Und: Wie wird sich Gusenbauers Vorstoß auf die Nationalratswahlen im Herbst auswirken?

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derStandard.at: Die Aussagen Alfred Gusenbauers zum ÖGB haben ihm viel Kritik von Seiten der Gewerkschaftsspitzen eingetragen. Wird diese "Lossagung" der SPÖ bei der Wahl im Herbst Stimmenverluste bei Gewerkschaftern bringen?

Hajek: Ich glaube, es ist eine grundlegende Fehleinschätzung, dass die einfachen Gewerkschaftsmitglieder so sehr hinter ihren Gewerkschaftsbossen stehen. Das ist schlichtweg falsch, die Basis selbst, das sehen wir aus den Umfragen, beurteilt die "Bosse" kritisch. Ich denke nicht, dass diese einfachen Mitglieder Gusenbauer bei der Wahl "bestrafen" werden.

Es kann eher sein, dass es einige leitende Gewerkschaftsfunktionäre sind, die nicht mehr SPÖ wählen, aber nicht die kleinen Funktionäre – der Betriebsrat in einem mittelständischen Unternehmen ist wegen des Bawag-Skandals ja genauso "haaß" auf "die da oben" wie alle anderen Bürger.

derStandard.at: Kann diese Loslösungsstrategie Gusenbauers aber nicht doch im Wahlkampf zu Problemen führen? Es sieht so als, als würde sich heftiger Widerstand bei der Gewerkschaft regen.

Hajek: Das Allerwichtigste in unserer Mediendemokratie ist: Ich brauche einen starken Spitzenkandidaten. Und wenn Gusenbauer hier nicht auf den Tisch gehauen hätte, dann wäre wahrscheinlich bei den Wahlen überhaupt nichts mehr zu holen gewesen. So hat er zumindest einmal seinen Führungsanspruch geltend gemacht – "das mach ma jetzt mal so wie ich mir das denk".

Es gibt nichts Besseres für einen politischen Führer als "leadership" zu zeigen. Das wird in jedem Fall mehr honoriert als wenn er klein beigibt. Gusenbauer ist bisher nicht in der Auseinandersetzung mit dem ÖGB aufgefallen. Jetzt hat er hier einmal "klar Schiff" gemacht - und "leadership" erkennen lassen. Und immerhin haben Häupl und Burgstaller in der Diskussion nicht gerade positiv ausgesehen.

derStandard.at: Eine Frage die sich viele stellen: War der Vorstoß Gusenbauers eine spontane Entscheidung oder lang geplante Strategie?

Hajek: Ich kann hier natürlich auch nur Vermutungen anstellen. Man hat schon die längste Zeit gewusst, seit einigen Jahren bereits, dass diese Problematik rund um die Verknüpfungen ÖGB-SPÖ irgendwann gelöst gehört. Jetzt hat Gusenbauer sozusagen die Gunst der Stunde genutzt und die Trennung herbeigeführt. Von der Politikberaterseite hört die SPÖ ja bereits seit Jahren, dass eine Trennung unumgänglich ist.

derStandard.at: War die Art des Publikmachens, das spontane Herantreten an die Medien, sehr sinnvoll? Hundstorfer wollte seinen Verzicht aufs Mandat sowieso kurz darauf bekanntgeben.

Hajek: Hätte Gusenbauer es nicht so gemacht, wär wieder mal nichts passiert. Über die internen Abläufe kann man natürlich nichts sagen, aber eines ist sicher: Der Überaschungseffekt ist der beste Effekt in der Politik. Mag schon sein, dass er da vielleicht vorgeprescht ist, aber das ist jetzt sowieso Kaffesudleserei. Wahrscheinlich wäre eine endlos lange Diskussion entstanden, wer noch gehen muss und wann, wenn Hundstorfer wie geplant seinen Verzicht selbst bekanntgegeben hätte. So hat Gusenbauer das ein für alle Mal geklärt.

derStandard.at: Wie wird sich die Trennung langfristig auf SPÖ und Gewerkschaften auswirken?

Hajek: Ich glaube, bei der Diskussion um Mandate geht es nur um einen Symbolwert. Was die Gewerkschaften nicht wahrhaben wollen: Sie eröffnen sich einen größeren Spielraum dadurch. Diejenigen, die an der Gewerkschaftsfront vorne stehen, haben jetzt einen viel größeren politischen Spielraum - sie können gegen Parlamentsentscheidungen wettern, müssen nicht mit den Parteien mitgehen. Das kann sich positiv auf die strategische Planung auswirken. Die Gewerkschaft ist ja heute strategisch so im Nirgendwo, dass man sich wundern muss.

Zusammenfassend kann man zwei Dinge feststellen: Es war der richtige strategische Schritt, fast schon ein bisschen zu spät. Er wird aller Voraussicht nach bei der Basis positiven Widerhall finden. Mittel- und langfristig haben außerdem sowohl SPÖ als auch ÖGB einen viel größeren politischen Spielraum erwirkt, können viel offensiver agieren. Diese Erkenntnis muss bei den Gewerkschaftern allerdings erst sickern.