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Foto: APA/EPA/ALESSANDRO DELLA BELLA
Commissario Brunetti ermittelt in Venedig, Inspektor Ochajon klärt Verbrechen in Israel auf, und Kommissar Wallander geht in Schweden auf Mörderjagd. Die Schauplätze internationaler Kriminalliteratur sind große Metropolen, kleine Städtchen oder entlegene Provinzen. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie sind zum Sterben schön. Als spannende Lektüre ziehen heute weniger die analytischen Schlüsse einer Miss Marple und eines Sherlock Holmes, vielmehr schlagen Regional-, Städte- und Länderkrimis Millionen Leser in ihren Bann.

Boom der Regionalkrimis

"Regionalkrimis erleben seit Ende der 1980er Jahre einen wahren Boom. Sie haben einen unglaublichen Absatz und sich einen eigenen Markt geschaffen", sagt die Literaturwissenschaftlerin an der Erfurter Universität, Eva Erdmann. Die 42-Jährige widmet dem Phänomen eine Forschungsarbeit und erstellt gemeinsam mit der Professorin Immacolata Amodeo von der Internationalen Universität Bremen einen Krimi-Weltatlas im Internet. Die Karte mit den Literatur-Tatorten dieser Welt wird einmal 1000 bis 2000 Einträge umfassen, schätzt Erdmann. Bis 2007 soll sie komplettiert sein.

Lokalkolorit im Vordergrund

"Bei den Regionalkrimis werden komplizierte Verbrechen ausgespart, im Vordergrund steht das Lokalkolorit", erläutert Erdmann. "Die Spannung verlagert sich auf die Darstellung des Ortes." In einer Zeit, in der sich nationale Identitäten auflösten, bediene die Kriminalliteratur landeseigene Stereotype auf eine folkloristische Art, findet die ausgebildete Romanistin. So spiegele etwa das Kommissaren-Paar in den britischen Krimis von Elisabeth George den gesellschaftstypischen Gegensatz zwischen englischer Upperclass und Mittelschicht wider, der zu komischen Dialogen und unterschiedlichen Ermittlungsweisen führe.

Gesellschaftskritik

Auch Gesellschaftskritik werde transportiert. Henning Mankell etwa räume mit dem Bild einer aufgeschlossenen und vermeintlich toleranten schwedischen Gesellschaft auf, und die Krimis von Batya Gur stellten die inneren Konflikte in Israel dar. "Die Krimis sind zugleich touristische Lektüre und übernehmen die Funktion von Reiseführern", sagt Erdmann. Italienurlauber könnten die venezianischen Krimis von Donna Leon ins Gepäck packen, die nicht nur das Flair der Lagunenstadt, sondern ebenso italienische Vokabeln vermitteln.

Mörderische Gegenden

"Ganze Landstriche wie die Eifel werden inzwischen - durch die Brille der Kriminalfiktionen von Jacques Berndorf - als mörderische Gegend wahrgenommen." In dessen erfolgreichen Romanen ermittelt der findige Journalist Siggi Baumeister in der sonst stillen Region. Oftmals enthalten Krimis auch Landkarten und Pläne für eine noch bessere Orientierung der Leser, so beispielsweise die in amerikanischen Reservaten angesiedelten Navajo-Romane von Tony Hillerman. Um sofort anzuzeigen, an welche Schauplätze das Verbrechen führt, tragen viele Bücher den Tatort bereits im Titel wie etwa bei Robert Wilsons "Die Toten von Santa Clara".

Hohe Literatur

"Die Krimis wurden in der Forschung bislang eher gemieden, weil sie nicht zur hohen Literatur zählten, dabei ist die Krimisparte unter anderem auf den Bestsellerlisten sehr präsent", meint Erdmann. Eine deutliche Wandlung macht ebenfalls Kathrin Blum, Lektorin beim Rowohlt Verlag, aus. "Die Kriminalliteratur ist besser geworden und hat viele Leser hinzugewonnen." Die Autoren bedienten eine größere Bandbreite an Themen und stillten mit Länderkrimis zugleich die Neugier auf fremde Kulturen. "Krimis sind keine Trivialliteratur mehr."(APA/Annett Gehler/dpa)