Foto: Ulrike Repnik/privat
Gestern – heute – morgen: Ulrike Repnik, Referentin für lesbischwule und transgender Angelegenheiten bei den Grünen, hat sich in ihrem aktuellen Buch erstmals auf Streifzug durch die Geschichte der Lesben- und Schwulenbewegung in Österreich begeben. Entstanden ist ein umfassender, fundierter Überblick von den 70er-Jahren bis heute.

Im Interview mit dieStandard.at berichtet die Autorin von der Entstehung des Buches, über aktuelle Gleichstellungs-Probleme von Schwulen und Lesben, wie wichtig es ist, öffentlich sichtbar zu sein, welche Rolle Klischees spielen und in welcher Form Lesben und Schwule in der Gesellschaft noch diskriminiert werden.

dieStandard.at: Was hat Sie motiviert, dieses Buch zu schreiben und wie ist das bisherige Feedback dazu?

Ulrike Repnik: Das Buch ist aus meiner Diplomarbeit am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien entstanden – motiviert hat mich, dass es bis dato kein umfassendes Werk gegeben hat, das die Geschichte der Schwulen- und Lesbenbewegung in Österreich aufrollt und einen Gesamtüberblick schafft.

Die Präsentation im Rathaus war sehr gut besucht, das Buch wurde dort sehr gut angenommen. Kritisiert wird der starke Wien-Bezug, obwohl im Titel steht, dass es sich auf ganz Österreich bezieht - ich schreibe aber auch in der Einleitung, dass ich darauf nur flüchtig eingehen kann, weil es den Rahmen des Buches sonst sprengen würde.

dieStandard.at: Gibt es bereits jemanden, der sich angespornt fühlt, das Werk zu erweitern?

Ulrike Repnik: Ich hoffe es! Ich hoffe vor allem auch, dass Werke auf mein Buch aufbauen können – ob das jetzt Fortsetzungen sind, oder Werke, die sich auf Teilbereiche des Buches beziehen. Vieles habe ich in meiner Arbeit nur angerissen – es gibt also die Möglichkeit, daran im Detail anzuknüpfen.

Einige Themen sind ausgeklammert, wie zum Beispiel Transgender oder Bisexualität, das fände ich sehr wichtig und spannend, sich das mal genauer anzuschauen. Was ich auch nicht explizit erwähnt habe, ist die Situation von MigrantInnen: Wie werden sie innerhalb der Schwulen- und Lesbenszene behandelt? Gibt es da Xenophobie? Gibt es Homophobie innerhalb der MigrantInnenszene? Inwieweit bekommen schwule und lesbische MigrantInnen Asyl in Österreich, wenn sie wegen ihrer sexuellen Orientierung flüchten? Was passiert, wenn ich mich in eine Frau aus einem EU-Drittstaat verliebe? Das ist ein sehr großer Bereich, wo sehr viele Dinge hereinspielen.

dieStandard.at: Wo sehen Sie noch die größten Mankos bei der Gleichstellung von Lesben und Schwulen in unserer Gesellschaft?

Ulrike Repnik: Einerseits gibt es auf Bundesebene noch immer kein umfassendes Anti-Diskriminierungsgesetz. Es wurde eine EU-Richtlinie umgesetzt, die Diskriminierungen im Arbeitsbereich verbietet, aber eben nur dort – das gilt nicht für andere Bereiche wie z. B. Dienstleistungen. Dann natürlich bei der rechtlichen Absicherung von gleichgeschlechtlichen PartnerInnenschaften. Aber auch im Asylbereich gibt es Mankos: Menschen können aufgrund ihrer sexuellen Orientierung um Asyl ansuchen, aber sexuelle Identität und sexuelle Orientierung gelten nicht explizit als Asylgrund, obwohl Lesben und Schwule zum Teil Asyl unter dem Aspekt Verfolung als "soziale Gruppe" gewährt wird.

Wichtig ist für mich auch immer der feministische Aspekt, der nicht von der Thematik zu trennen ist – hier gab es in den letzten Jahren ziemliche Rückschritte, nicht zuletzt wegen der konservativen Regierung, die zum Beispiel den finanziellen Rahmen von feministischen Projekten gekürzt hat. Lesbische Frauen gehen in der gesellschaftlichen Debatte um Gleichgeschlechtlichkeit oft unter, weil Homosexualität oft mit Schwulsein gleichgesetzt wird - ein klassisches Beispiel wäre die Schlagzeile einer heimischen Zeitung zum "Europride"-Festival, die lautete: "Wien – die schwule Hauptstadt Europas".

Schwule Männer sind anders diskriminiert – gerade im rechtlichen Bereich wurde bei ihnen oft viel härter durchgegriffen. In Österreich hat der Paragraph 129 – also das Totalverbot von gleichgeschlechtlichen Beziehungen – bis 1971 für Schwule und Lesben gegolten, wobei aber hauptsächlich Schwule verfolgt wurden. Oder es gab den Paragraphen 209, also das unterschiedliche Mindestalter, der nur für Schwule galt. Schwule wurden stärker strafrechtlich verfolgt.

dieStandard.at: Wie zeigt sich gesellschaftliche Diskriminierung von Schwulen und Lesben im Alltag?

Ulrike Repnik: Es hat sich da sicher sehr viel zum Positiven gewendet, vor allem, was die öffentliche Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben betrifft – das betonen auch meine Interview-PartnerInnen. Vor allem ab Mitte der 90er-Jahre gab es einen großen Schub an Veränderungen, einerseits rechtlich – die Paragrafen 220 und 221, also das Vereins- und Werbeverbot für Homosexuelle, wurden abgeschafft –, andererseits durch Initiativen wie die Regenbogenparade oder durch Lokale wie das Café Berg: Früher waren lesbisch-schwule Lokale versteckt, und jetzt sitzt man im Schaufenster.

Gleichzeitig gibt es aber noch starke Unterschiede in der Akzeptanz. Es gibt zum Beispiel ein großes Stadt-Land-Gefälle – Internet und Online-Beratungen sind da sicher eine große Hilfe. Viele trauen sich auch noch nicht, am Arbeitsplatz zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen, speziell wenn man an manche traditionelle Berufsfelder wie zum Beispiel LehrerInnen denkt – da glaube ich, gibt es noch viel versteckte Diskriminierung, beziehungsweise man verschweigt es, um nicht unangenehm damit konfrontiert zu werden.

dieStandard.at: Wie kann man den gesellschaftlich verbreiteten Klischees und Vorurteilen entgegenwirken und die Akzeptanz fördern?

Ulrike Repnik: Einerseits kann man dem Ganzen mit Humor begegnen, andererseits wieder durch Sichtbarkeit: Je mehr Leute öffentlich zu ihrem Lesbisch- und Schwulsein stehen, umso mehr wird es akzeptiert und "normal" werden. Viele Leute denken zum Beispiel, sie kennen keine Lesben und Schwule – obwohl sie es in Wahrheit nur nicht wissen, weil diese nicht öffentlich dazu stehen. Gerade im privaten Bereich ist es wichtig, Diskussionen über die Akzeptanz von Lesben und Schwulen zu führen, um Vorurteile auszuräumen. Ich glaube, das braucht einfach Zeit. Man muss die Thematik den Leuten näher bringen, sonst bleibt Homosexualität für sie abstrakt und weit entfernt.

dieStandard.at: Wenn man sich den Verlauf der neuen Schwulen- und Lesbenbewegung in Österreich seit den 70er-Jahren ansieht – was sind für Sie die größten Meilensteine?

Ulrike Repnik: Da kann man unterscheiden zwischen den punktuellen rechtlichen Erfolgen, wie der Abschaffung des Totalverbots und der Paragrafen 209, 220 und 221. Dann, dass Lesben und Schwule als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden – eine der ersten Forderungen der Bewegung, die aber erst 2005 umgesetzt wurde. Wichtig ist auch die erwähnte Umsetzung der Anti-Diskriminierungs-Richtlinie der EU für den Bereich Beschäftigung und Beruf oder die Gleichstellung des Pornografie-Gesetzes für Homo- und Heterosexuelle.

Andererseits die verstärkte Sichtbarkeit und Medienpräsenz – obwohl man die Darstellung von Homosexualität in den Medien auch sehr kritisch betrachten muss. Zentral sind die Veränderungen in der diskursiven Praxis oder wie politische Parteien lesbisch-schwule Forderungen aufgenommen haben und sich das politische System teilweise geöffnet hat. Erwähnenswert ist hier zum Beispiel die Einrichtung der Anti-Diskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in Wien oder Gruppierungen innerhalb politischer Parteien, die sich mit diesem Thema explizit befassen – zum Beispiel "Grüne andersrum".

dieStandard.at: Sie haben die Medienpräsenz erwähnt – wie nehmen Sie in den Medien die Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben wahr, welches Bild wird da vermittelt?

Ulrike Repnik: Es ist natürlich prinzipiell positiv, dass es eine verstärkte Medienpräsenz von Schwulen und Lesben gibt – Ende der 70er-Jahre gab es zwei "Club2" zum Thema und das war damals noch ein Mega-Ereignis, dass das überhaupt im Fernsehen gebracht wird. Negativ ist, dass hauptsächlich Schwule und kaum Lesben vorkommen, dass lesbisch-schwules Leben als "Lifestyle" gebracht wird, ohne dass die konkreten Probleme gezeigt werden, oder dass Stereotypen weitergeführt werden, zum Beispiel in TV-Shows.

Die Präsenz an sich ist positiv, andererseits werden da vielfach falsche Bilder vermittelt und Klischees weitertransportiert. Serien wie "The L Word" werden dafür im ORF nicht gesendet. Man kann kritisieren, dass das auch wieder nur schöne Models sind, aber es ist immerhin eine Serie, die sich explizit mit Lesben und dem Alltag der lesbischen Community auseinandersetzt und Themen von Brustkrebs über Beziehungsdramen bis zu Problemen in der Gesellschaft anspricht. Vor einigen Jahren gab es auch eine Dating-Show namens "Dismissed", wo ein schwules Paar auftrat – und im ORF durfte das nicht gesendet werden. Es gibt da also schon immer noch Barrieren – Wertvorstellungen, die es verhindern, dass solche Programme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gebracht werden. Ein gutes Beispiel ist auch das Thema Familie, die immer als Mutter-Vater-Kind, niemals aber als Mutter-Mutter-Kind oder Vater-Vater-Kind gezeigt wird, obwohl das auch Lebensrealität ist.

Man darf aber kein mediales Schwarz-Weiß-Bild malen – es gibt durchaus auch kritische Medien, Medien, wo Lesben und Schwule oder Menschen, die sich für diese Gruppe einsetzen, sehr wohl positiv berichten und ein kritisches Bild der Realität zeigen. Das sind aber meist Alternativ-Medien, und es wäre wünschenswert, dass auch in den zentralen Medien auf diese Weise berichtet wird.

dieStandard.at: Haben Lesben- und Schwulenbewegung eine unterschiedliche Entwicklungsgeschichte oder sind die Wege ziemlich ähnlich?

Ulrike Repnik: Getrennt und gemeinsam. Getrennt, weil lesbische Frauen von Anfang an auch sehr in der Frauenbewegung aktiv waren – die erste lesbische Bewegung der 70er-Jahre in Österreich entstand innerhalb der Autonomen Frauenbewegung. In der ersten Welle der Lesben- und Schwulenbewegung, also bis 1945, kamen Frauen erst sehr spät dazu, aber auch danach gab es viele Organisationen, die zuerst nur von Männern getragen wurden.

Die Diskriminierung der Frauen aufgrund des Geschlechts beeinflusst in Folge auch das Leben von Lesben oft massiv – zum Beispiel wenn man an die ungleiche Entlohnung und die Gehaltsschere denkt –, deshalb sind viele Lesben auch feministisch organisiert. Lesbenbewegung und Feminismus lassen sich eigentlich nicht voneinander trennen.

Ein Beispiel für die unterschiedliche Entwicklung der Bewegungen ist auch das Thema Ehe: Schwule plädieren tendenziell eher dafür, die Ehe für Lesben und Schwule zu öffnen und sie so anzunehmen, wie sie ist, viele Lesben hingegen sehen das Thema eher kritisch, weil sie wissen, dass die Ehe auch zur ökonomischen Abhängigkeit der Frau geführt hat und hier sehr viel Reformbedarf besteht.

dieStandard.at: Ist die Bewegung heute noch so stark wie in den 70er-Jahren oder organisieren sich Schwule und Lesben heute eher autonom und individuell, statt in Vereinen und Gruppierungen?

Ulrike Repnik: In den 70er-Jahren war die Bewegung sehr klein, sie kam aus einem explizit linken Eck und hat große gesamt-gesellschaftliche Veränderungen gefordert, wie zum Beispiel befreite Sexualität für alle. Die ganze Gesellschaft wurde da in Frage gestellt, die ganze heterosexuelle Ordnung. Heute geht die Tendenz eher in die Richtung, sich an die Norm anzupassen und in die bestehende Gesellschaft integrieren zu wollen, obwohl es da natürlich nach wie vor kritische Stimmen gibt.

Es muss auch nicht mehr immer alles in Vereinen organisiert sein, ein gutes Beispiel ist das "Ladyfest": Viele autonome Frauen haben sich dafür bisher zweimal in Wien zusammengetan und ein großartiges Programm auf die Beine gestellt. Ich glaube, es gibt nach wie vor viel schwul-lesbisches Engagement, aber eben nicht mehr nur in den klassischen großen Organisationen. Man kann sich heute viel mehr nach Spezialinteressen engagieren: Es gibt schwule Fußballvereine, Lesben-Chöre, religiöse homosexuelle Gruppierungen und so weiter, also in diversen Lebensbereichen und nicht mehr nur auf politischer Ebene.

(Das Interview führte Isabella Lechner.)