"In den 80er-Jahren hatten wir fünf Prozent Migranten, heute sind es 13 Prozent. Die größeren Herausforderungen müssen wir mit weniger Geld als früher bewältigen", klagt Emmanuel Kamdem, Vorsitzender des Grazer MigrantInnenbeirats, der die Stadt in Einwanderungsfragen beraten soll. Sein Budget wurde heuer mehr als halbiert. Doch nicht nur, dass das Geld seit Jahren weniger werde: Die Politiker und Behörden kommunizieren auch kaum mit den Betroffenen, sagte Kamdem bei einer Tagung in Graz zum Thema "Schule und interkulturelle Vielfalt".

Und so sollen ab nächstem Schuljahr in Graz neu angekommene Migrantenkinder ein dreimonatiges Integrationstraining absolvieren: "Dieses Training bereitet auf das Leben eines typischen Grazers vor: wo ist der Arzt, wo die Bushaltestelle, wie fahre ich Rolltreppe?", erklärt der zuständige VP-Schulstadtrat Miedl. Über die Kinder will er die Eltern erreichen, und sie unterstützen.

"Das ist Wahnsinn", kritisiert die Lehrerin Helga Bedlivy-Dungl. "Das Kind muss plötzlich Verantwortung für die Eltern übernehmen. Dadurch zerstört man die Familienstruktur und erreicht, dass diese Kinder ihren Eltern einfach nicht mehr folgen."

Auch die Psychologin Dagmar Strohmeier ist skeptisch. Wenn man die Eltern erreichen wolle, solle man direkt mit den Eltern arbeiten, meint sie: "Sonst sind die Kinder plötzlich Dolmetscher und Kultur-Experten - und damit überfordert. Wenn man Maßnahmen setzen will - was begrüßenswert ist - sollte man sich mit Experten zusammensetzen, um nicht an den Bedürfnissen vorbei zu arbeiten."

Die Strukturen in Graz seien veraltet und die Menschen, die mit Migranten arbeiten, überfordert, erklärt Kamdem. Er verlangt einen Dialog zwischen allen Betroffenen und mehr Geld für Stützlehrer und Sprachförderung: "Diese Nichtintegration kommt teurer als die Integration! Ein integrierter Mensch hat einen Job und ist kein Sozialschmarotzer." Er wolle sich im Sommer mit den Experten zusammensetzen, lenkt Stadtrat Miedl ein. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2006)