Brüssel - Die zu Ende gehende österreichische EU-Präsidentschaft wird von den meisten Brüsseler Korrespondenten als Beitrag zu einem besseren Klima in der Union nach den Querelen des Vorjahres gesehen. Wenn auch die ordentliche Durchführung gelobt wird, gibt es Kritik an zu wenig Visionen und substanziellen Debatten über die großen Probleme der EU.
  • Gerold Büchner, "Berliner Zeitung", Deutschland:

    "Für die Stimmung in der EU hat die österreichische Präsidentschaft dank geschickter Veranstaltungsorganisation einiges getan. Das ist nicht gering zu schätzen nach den bitteren Konflikten im vorigen Jahr, denn ein Mindestmaß an Gemeinschaftsgeist ist erforderlich zur Lösung der großen Streitfragen: Verfassung, grundlegende Finanzreform, Erweiterung. Hier hat Österreich keine echten Fortschritte bewirkt, aber immerhin dazu beigetragen, dass das Glas wieder halb voll und nicht mehr halb leer wirkt. Der Rest war ordentliches Handwerk wie die Vermittlung bei Dienstleistungsrichtlinie und reduzierten Mehrwertsteuersätzen. Von Kreativität oder gar Geistesblitzen blieb die Präsidentschaft trotz des Mozart-Jubiläums frei."

  • Thomas Lauritzen, "Politiken", Dänemark:

    "Man ist verleitet, Jacques Chirac bei seiner Gipfel-Pressekonferenz am Freitag zu zitieren: 'Meine Damen und Herren - es hätte schlimmer sein können!' (Er sprach nicht über die österreichische Präsidentschaft, sondern über das frühe Ende des Gipfels). Es war schließlich ein ganz erfolgreiche Präsidentschaft, wenn man die extrem schwierigen politischen Bedingungen zu Beginn bedenkt. Politische Pluspunkte für den Deal zur Dienstleistungsrichtlinie und die interessanten Diskussionen in Klosterneuburg. Pluspunkte für eine sehr gute praktische und technische Planung und freundliche Ansprechpartner.

    Minuspunkte für viel Gerede über nichts und dafür, dass man zu 'glatt' und oft nicht bereit war, Probleme einzugestehen. Zu viel Oberfläche, zu viel Marketing und zu wenig Substanz. Aber noch einmal: Was kannst du machen, wenn niemand über Substanz reden will? Insgesamt also war es nicht eine außerordentlich interessante Präsidentschaft, aber nett gemacht. Sie hätte schlimmer sein können, viel schlimmer. Sie hätte zum Beispiel britisch sein können - oder französisch!"

  • Zoltan Gyevai, "Figyelo", Ungarn:

    "Nicht ganz überraschend war es eine verwaltende Präsidentschaft, die sich hauptsächlich auf das Management von Entscheidungen und Vereinbarungen konzentrierte, die unter früheren Präsidentschaften erzielt wurden, wie das Abkommen zum Mehrjahresbudget oder den 'Modus Vivendi' zur Zukunft der europäischen Verfassung. Die Österreicher haben ihre Arbeit ziemlich pragmatisch gemacht, indem sie geschickt gegen nationale Interessen manövriert haben und dabei große Kontroversen vermieden haben. Zudem haben sie es geschafft, eine Lösung bei der sehr kniffligen Dienstleistungsrichtlinie zu Stande zu bringen, obwohl der Deal zuerst vom Europäischen Parlament nach einem deutschen Plan vorbereitet wurde.

    Die größte Leistung Wiens neben der Dienstleistungsrichtlinie war, dass man ein ziemlich gutes Klima schaffen konnte, das nach den Turbulenzen des vergangenen Jahres nötig war. Kanzler Schüssel und einer seiner Generäle, Martin Bartenstein, haben während der Präsidentschaft ein durchwegs beachtliches Konzert im Einklang mit dem Mozart-Jubiläum geboten. Ich hatte eine bessere Darbietung bezüglich Transparenz und Kommunikation erwartet, obwohl der EU-Gipfel bei letzterem einige Durchbrüche erzielen konnte."

  • Stojan de Prato, "Vecernji list", Kroatien:

    "Nach der turbulenten und konfliktreichen britischen Präsidentschaft, die für Kroatien nicht so enttäuschend war wie für alle anderen, weil die Beitrittsverhandlungen schließlich in den frühen Stunden des 4. Oktober eröffnet wurden, wurde Österreich am Ruder der EU in Zagreb mit Sehnsucht erwartet. Aber die Europäische Kommission war langsam beim Schreiben der Screeningberichte und der Rat noch langsamer bei der Annahme einer gemeinsamen Verhandlungsposition. Anstatt acht Kapiteln, die Zagreb während der österreichischen Präsidentschaft zu eröffnen hoffte, wurde bisher nur Wissenschaft und Forschung auf- und zugemacht.

    Die kroatischen Journalisten haben schnell Ursula Plassnik beschuldigt, angesichts dessen, dass sie bei jeder Frage zu Kroatien ihre Antwort mit 'Die Staaten des westlichen Balkans' einleitete. War es ihre Apathie gegenüber Kroatien, oder wollte sie einfach keine Anstrengungen im Rat darauf verschwenden, die Kroatien-Verhandlungen von der Türkei zu 'entkoppeln', während wichtigere Fragen wie die Dienstleistungsrichtlinie auf eine Lösung warteten?

    Bei der spätabendlichen Pressekonferenz nach dem ersten Tag des EU-Gipfels im Juni hat es Bundeskanzler Schüssel ein klein wenig geschafft, die kroatische Enttäuschung über die österreichische Präsidentschaft zu mindern: Er erwähnte Kroatien im Kontext der Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009. Es ist der Wunsch von Zagreb den Beitrittsprozess rechtzeitig abzuschließen, damit die kroatischen Bürger an diesen Wahlen teilnehmen können."

  • Stephen Castle, The Independent, Großbritannien:

    "Die Kritik, die oft an der österreichischen Präsidentschaft geübt wird, lautet, dass sie langweilig war. Das mag stimmen, aber es ist auch unfair. In Anbetracht der derzeitigen politischen Stagnation der EU gab es wenige wichtige Entscheidungen für diese Präsidentschaft. Die größte Herausforderung - 'Was geschieht mit der europäischen Verfassung?' - war unlösbar und Österreich hat getan, was es konnte, um einen Zeitplan festzulegen. Es gab keine Krisen (Über den Türkei-Beitritt hätte eine aufkommen können) und die Treffen in Österreich waren außergewöhnlich gut organisiert. Das Arbeitsprogramm ging weiter. Um es kurz zu machen: Es war unspektakulär aber kompetent"

  • Giuseppe Sarcina, "Corriere della Sera", Italien:

    "Am Ende des Tages war die österreichische Präsidentschaft unmerklich. Kanzler Schüssel und die Minister spielten nur die Rolle des 'ehrlichen Vermittlers'. Es ist klar, dass es nur einen sehr kleinen Spielraum gab, aber andererseits hat die österreichische Regierung nichts gewagt. Es wäre zum Beispiel interessant gewesen, einige neue Vorschläge zur Verfassungsfrage zu haben. Mangels politischer Initiative haben sich die Österreicher selbst dazu verdammt, eine charmante aber routinemäßige Präsidentschaft zu führen."

  • Bert Lanting, "De Volkskrant", Niederlande:

    "Die EU-Präsidentschaft weckt viele Erwartungen, die sehr schwer zu erfüllen sind, vor allem wegen der euroskeptischen Stimmung, die die EU nach den französischen und niederländischen Referenden durchdringt. Österreich blieb die Aufgabe erspart, einen Deal zum EU-Budget zu schmieden, aber es hat die Verhandlungen mit dem Parlament ganz gut abgeschlossen. Ein weiterer Erfolg war die Einigung zur Europäischen Beweisanordnung, die die Minister lange umgangen haben. Natürlich wurde die Frage der Verfassung nicht gelöst, aber das konnte man auch nicht erwarten. Österreich hat aber die Diskussion über die Zukunft der Verfassung unterstützt, indem es das informelle Treffen in Klosterneuburg organisiert hat."

  • Stefan Hostettler, "Tages-Anzeiger", Schweiz:

    "Trotz der gewohnten Selbstbeweihräucherung am Ende einer Präsidentschaft kann Österreich nicht wirklich für sich beanspruchen, Europa entscheidend voran gebracht zu haben. Schließlich wollte sich die Regierung in Wien zuerst um die delikate Dienstleistungsrichtlinie herumdrücken; und dann war der Durchbruch doch vorab dem Parlament zu verdanken. Gleichermaßen war auch das Schlussgeplänkel ums Budget nicht wirklich eine speziell vermeldenswürdige Leistung. Richtig ist, dass die Crew von Kanzler Schüssel erfolgreich einen Eklat zu verhindern wusste. Wer aber immer nur den konfliktfreien Konsens vor Augen hat, dem gelingen nun einmal keine großen Würfe.

    Doch vielleicht war ja nach dem forschen Stil der Briten die kriselnde EU geradezu gezwungen, mit viel Mozart, üppigen Mehlspeisen und vor barocken Kulissen einfach einmal eher substanzlos sich selbst zu verwöhnen. Dies zumal in Wien auch bald gewählt wird. Schade nur, dass man dann nicht ehrlich genug war, die österreichische Feel-Good-Präsidentschaft als genau das zu vermitteln was sie war. Wer dann aber mit viel 'Spin' versucht, denn letzten Gipfel als Durchbruch darzustellen, verkauft die Öffentlichkeit für dumm. Damit gewinnt Europa - Projekte und Resultate hin oder her - bestimmt keine neuen Anhänger. (APA)