Das Eröffnungsspiel Deutschland gegen Costa Rica war noch gar nicht angepfiffen, da hatten viele Berliner ihren Balkon schon WM-tauglich ausstaffiert: Gartenzwerg mit schwarz-rot-goldener Zipfelmütze, Windräder in den Nationalfarben - und natürlich durfte die Fahne nicht fehlen.

WM-Anfangs-Begeisterung halt, dachten viele. Doch dann wurde das Meer der Fahnen auch in den Tagen danach immer größer - auch wenn die deutsche Elf gar nicht spielte. Mittlerweile sind Schwarz- Rot-Gold so etwas wie die Modefarben der WM. Viele Deutsche, die sich wegen ihrer belasteten Geschichte mit Nationalstolz und Nationalflagge ein wenig schwer tun, sind wie verwandelt und von einer neuen Leichtigkeit erfasst.

Derart viele Fahnen hat man im Nachbarland zuletzt nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 gesehen. "Schwarz- Rot-Glück"staunte die Bild- Zeitung, Zentralorgan für das organisierte Wir-Gefühl. Auch die Händler sind sehr zufrieden: "Der Absatz an Fahnen ist immens. Deutschland ist der Top-Renner", sagt Lukas Weimann von der Pro Feet GmbH, die Kaufhäuser mit Flaggen beliefert.

Keine Aggressivität

"Das ist Freude. Es steckt überhaupt keine Aggressivität in dem Verhalten der Fans", beruhigt der Parteienforscher und Politologe Richard Stöss von der Freien Univeristät Berlin jene, die mit deutschen Fahnenträgern nur wenig oder nichts Positives assoziieren. Auch Klaus Boehnke, Sozialwissenschafter an der International University Bremen, meint: "Nicht jeder Fahnenschwenker wird gleich zum Patrioten oder Nationalisten."

Dennoch: In Berlin hat der Spaß seine Grenzen. "Polizeibeamte im Dienst sind auch während der WM nicht in ihrer Eigenschaft als deutsche Fußballfans unterwegs", heißt es unmissverständlich in einer Dienstanweisung des Polizeipräsidenten. Auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor waren bis dahin nicht nur Polizeiwagen samt deutschen Fahnen, sondern sogar ein Polizist mit einer schwarz-rot- goldenen Wuschelperücke gesichtet worden.

Der Ukas dürfte ganz im Sinne des grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele sein: "Ich finde das Fahnenschwenken nicht unbedingt gut. Wir haben auch eine jüngere Vergangenheit, die uns alles andere sein lässt als stolz."Heiner Geißler, Ex- CDU-Generalsekretär, warnt ebenfalls: "Es gibt ein ukrainisches Sprichwort: ,Wenn die Fahnen fliegen, ist der Verstand in der Trompete.'Wir haben den Zustand bald erreicht." (Birgit Baumann aus Berlin - DER STANDARD PRINTAUSGABE 17./18.6. 2006)