Berlin - Worauf der Fußball in Zeiten wie diesen, in denen schon ein schlichtes Kopftuch genügen kann, eine interkulturelle Debatte auszulösen, Acht zu geben hat, davon macht man sich oft gar keine Vorstellung. Aber wer eine WM ausrichtet, hat darauf Rücksicht zu nehmen, auch auf das, woran er womöglich gar nicht denkt.

So ist es auch dem deutschen Organisationskomitee ergangen. Im Bemühen, es allen recht zu machen, hat man sich dazu entschlossen, die Kapellen in den Stadien von Berlin und Gelsenkirchen - von deren Existenz praktisch niemand noch erfahren hat bislang - für die Zeit des Turniers zu sperren.

Jetzt meint der Vizepräsident der Veranstalter, Wolfgang Niersbach, die Maßnahme sei womöglich als "übervorsichtig"anzusehen. Aber, so Nierbach fast entschudigend: "Wir wollten dem Vorwurf entgehen, andere religiöse Richtungen nicht zu achten." Eine Idee, die im Grunde wahrscheinlich niemandem gekommen wäre, hätte die Kapellenschließung nicht genau darauf hingewiesen.

Das fällt bei dieser WM überhaupt auf: dass praktisch alles, was vor sich geht, einer schonungslosen Kritik unterzogen wird, vom Wetter über die Höhe der Grashalme auf dem Spielfeld bis hin zum Absingen der deutschen Hymne. Auch die FIFA ist unlängst gerüffelt worden. Von Gesundheitsexperten, die sich am Sponsorenpool reiben, da McDonald's das Gegenteil von gesunder Ernährung sei.

Die Stadienkapellen, deren berühmteste im Camp Nou zu Barcelona steht, nehmen sich dagegen beinahe wie Marginalien aus. Auch die Kirchen haben diesbezüglich geschwiegen. Wolfgang Niersbach berichtet bloß von einer Anfrage, die ablehnend beschieden wurde: "Wir haben es auch abgelehnt, mit den Kirchen offensive Kampagnen durchzuführen. Unser Bestreben war es, nicht den Eindruck zu erwecken, nur christlich orientiert zu sein."(sid, wei - DER STANDARD PRINTAUSGABE 17./18.6. 2006))