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Foto: REUTERS/Antony Njuguna

Dass Europa Vorteile aus dem asymmetrischen Verhältnis der Kontinente zieht, wird nicht mehr geleugnet. Europa setzt in Afrika auf Militärinterventionen, auch um sich selbst zu schützen.

Vierzig Jahre sind eine Zeit, nach der sich ein Ehepaar wohl einiges Grundsätzliches sagen kann. Etwa 40 Jahre sind seit der Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Staaten und dem Beginn der Entwicklungshilfe vergangen, die Europas frühere Kolonialherren dem Kontinent angedeihen lassen. "Man muss Bilanz ziehen", sagt der Minister, der nicht als Minister sprechen will, nun vielleicht schon zum fünften Mal. Der purpurrote Samtsessel auf dem Rednerpodium beginnt bedrohlich zu wackeln, so viel Verve legt Abdou Aziz Sow, Senegals Minister für "Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (Nepad) und gutes Regieren", in seine Worte. "Da stimmt doch irgendetwas nicht. Man muss Bilanz ziehen." Man müsste.

Anteil am Welthandel

Afrikas Anteil am Welthandel liegt etwa bei zwei Prozent, der der Europäer ist zehnmal so hoch. Die EU ist für die meisten Länder Afrikas der mit Abstand wichtigste Handelspartner, der Anteil Afrikas an den Ein- und Ausfuhren aus der Union ist dagegen vernachlässigbar. Im letzten Freedomhousereport werden von 48 Sub-Sahara-Staaten nur elf als entwickelte Demokratien ausgewiesen. Europäer verdienen etwa 23.000 Euro im Jahr. Fast die Hälfte der Bevölkerung Afrikas südlich der Sahara lebt hingegen in absoluter Armut, diese Menschen verfügen über weniger als einen Dollar pro Tag. Afrikaner haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 49 Jahren, ein Europäer kann damit rechnen, 72 Jahre alt zu werden.

Entwicklungshilfe

"Die Mayonnaise wird nicht fest", stellte Minister Sow fest, als er kürzlich das Schlusswort für das Afrika-Europa-Kolloquium des österreichischen Botschafters Gerhard Weinberger in Dakar sprach – das vierte, das der scheidende Botschafter und sein "Studienzentrum zur Vorbeugung von Konflikten und internationalen Krisen" (Creaf) organisierten. Der erste Entwurf einer strategischen Partnerschaft beider Kontinente, den die EU-Kommission in Brüssel vorgelegt hat, "für die gesamte EU und das gesamte Afrika", wie es in dem Dokument heißt, soll das magere Ergebnis von 40 Jahren Entwicklungshilfe korrigieren.

Asymmetrie

n der Meerenge von Gibraltar trennen Spanien und Marokko nur 14 Kilometer Wasser und doch scheinen die Kontinente Welten voneinander entfernt. Es herrscht krasse Asymmetrie zwischen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Nordens und der Afrikas. "In einer Rollenverteilung, wo der eine vor allem Geber von Entwicklungshilfe, der andere Nehmer ist, kann es kaum Partner geben", sagt Stefan Mair von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Das Problem sei, dass die Europäer nicht dazu stünden. "Zynisch gesagt, braucht aber Europa Afrika als Wirtschaftspartner nicht."

Wohl aber hat es Angst vor dessen Chaospotenzial: vor den Flüchtlingsschiffen, den zerfallenden Staaten, die ganze Regionen destabilisieren und vor dem "weichen Unterleib des globalen Terrorismus", wie die Clinton-Beraterin Susan Rice es einmal nannte.

Militäreinsatz ein "echter Tabubruch"

Mair begrüßt deshalb, dass die Afrika-Strategie der EU auf das Thema "Sicherheit" setzt. Europa solle sich dort engagieren, wo es ein genuines Interesse habe. Weniger altruistische Floskeln also, mehr Ehrlichkeit. "Was wir Europäer können, ist Eskalationen verhindern und über Krisen hinweghelfen", meint Mair. Beweisen kann sich Europa mit dem neuen Afrikakonzept Ende Juli in der Demokratischen Republik Kongo. Siegmar Schmidt von der Universität Koblenz hält den Militäreinsatz für "einen echten Tabubruch". 450 EU-Truppen werden zur Sicherung der ersten freien Wahlen nach 40 Jahren nach Kinshasa entsandt. Mit dem Einsatz entfernt sich die EU auch von der bisherigen Linie "Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme". Die Afrikanische Union (AU) ist nicht einmal Teil der Mission.

"Der Kongo war sicher nicht der letzte Einsatz der Europäer", prophezeit Schmidt. Allerdings sind die europäischen Institutionen für die Einsätze in Afrika noch nicht austariert. Die Schnittstelle zwischen ziviler und militärischer Mission im Kongo bliebe unklar. Der Kompetenzwirrwarr liegt wohl auch an den verschiedenen Interessen der EU-Staaten. "Frankreich hat im Kongo auf den jetzigen Präsidenten Joseph Kabila gesetzt", erklärt der Politologe Cord Jakobeit. Während Deutschland vor allem die gemeinsame Außenpolitik der EU stärken will.

Afrika-Kunde

Kritik gibt es an der mangelnden Nachhaltigkeit der Mission: Die EU-Truppen bleiben nur für vier Monate. "Wenn ich ein lokaler Warlord wäre, würde ich zuschlagen, wenn die Europäer wieder weg sind und dann das Wahlergebnis nach meinen Vorstellungen ändern", sagt der Direktor des Instituts für Afrika-Kunde in Hamburg.

Machtbereich

Europa muss sich auch in Afrika erstmals selbst finden. Bis 1989 war alles einfach: Im Süden wurde unterstützt, wer sich zum Westen bekannte. Hinzu kam das schlechte Gewissen über die Geschichte des Kolonialismus. Frankreich versucht noch heute die Wirtschaftsinteressen in seinem zerbröckelnden Machtbereich in den Exkolonien zu retten. Im Krisenfall spricht Europa in Afrika nicht mit einer Stimme. Als die EU etwa nach manipulierten Wahlen 1998 in Togo die Entwicklungshilfe einstellte, setzte Paris die Unterstützung fort.

Seit den 1990ern knüpfen die Europäer Hilfszahlungen für afrikanische Staaten vermehrt an politische Bedingungen: Rechtsstaatlichkeit, Demokratisierung, Menschenrechte. Die EU setzt dabei seit 2001 auch auf die innerafrikanische Institution Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (Nepad). Der Peer Review Mechanism, mithilfe dessen sich die afrikanischen Regierungen gegenseitig über die Schulter schauen sollen, wird aber mittlerweile kritisch beäugt. "In einigen Ländern wie in Ghana gab es eine ehrliche Diskussion darüber, was erreicht wurde. In Ruanda war das Instrument aller 4. Spalte dings wertlos", analysiert Afrika-Experte Schmidt. Sanktionen sind ohnehin nur bedingt wirkungsvoll. In Simbabwe kümmert sich der dortige Diktator Robert Mugabe etwa überhaupt nicht um die Reaktionen aus Europa.

Exportsubventionen

In der Afrika-Strategie werden politische Bedingungen nun nicht mehr betont. Der Politologe Mair findet es aber ohnehin fragwürdig, wenn Europa sein Eingreifen von der Artigkeit der Regierungen abhängig macht. "Es nützt uns ja nichts, wenn wir die Kap Verden unterstützen und derweil Nigeria zerfällt."

Völlig unausgegoren ist Europas Umgang mit den Flüchtlingsströmen. Die ökonomische Dimension der Migration werde völlig unterschätzt, meint Jakobeit. Das Geld, das von den in Europa lebenden Afrikanern in die Heimat überwiesen wird, sei höher als die offizielle Entwicklungshilfe. "Das ist eine unverzichtbare Größe für das Überleben vieler Clans", so Jakobeit. Auch im Handelsbereich mauert der Norden. Exportsubventionen für europäische Agrarprodukten verderben die Preise in Afrika.

Doch selbst wenn Europa die Zölle für Agrarprodukte senken würde, bliebe die Wirkung begrenzt. "Mali könnte im Baumwollverkauf profitieren, aber der Tschad nicht, der hat nur Öl", sagt Schmidt. Zudem sind China und Indien mittlerweile große Player in Afrika. "Und denen sind die Menschenrechte egal. Man darf den europäischen Einfluss nicht überschätzen", meint der Professor für Internationale Beziehungen. "Es ist sensationell, dass Afrika überhaupt so weit oben auf der europäischen Agenda steht." (DER STANDARD, Printausgabe, 17./18. 6.2006)