Das Parlament in Straßburg

Foto: Hopi/Bernhard J. Holzner
Brüssel - Die anhaltende Debatte um den EU-Parlamentssitz in Straßburg wird kein Thema am EU-Gipfel. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) hat EU-Parlamentspräsident Josep Borrell in einem Brief am Mittwoch vorab klar gemacht, dass sich der Staats- und die Regierungschefs in der Frage nicht einig sind. Eine Gipfeldebatte wird nach einer Blitzumfrage der österreichischen Ratspräsidentschaft derzeit von der Mehrheit der EU-Staaten abgelehnt. Parlamentspräsident Borrell wird deshalb darauf verzichten, das Thema bei seinem Treffen mit den EU-Chefs am morgigen Donnerstag in Brüssel anzusprechen.

Ursprünglich hatten die EU-Parlamentsfraktionen Borrell beauftragt, am Gipfel eine mögliche Aufgabe des zweiten Sitzes und die Konzentration auf einen Standort zu sondieren. Nach dem Schreiben Schüssels sei aber klar gestellt, dass der Rat eine solche Debatte verweigert, sagte der sozialdemokratische Fraktionschef Martin Schulz am Mittwochabend zur APA. Die Fraktionsvorsitzenden haben deshalb noch am Vorabend des Gipfels ihre Aufforderung zurückgezogen.

In seinem Brief, der der APA vorliegt, erklärte Schüssel, "Konsultationen mit Mitgliedstaaten - insbesondere mit Frankreich als Sitzstaat" - hätten eindeutig ergeben, "dass diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema ist, das beim Europäische Rat behandelt werden soll". Die erforderliche Einstimmigkeit der EU-Mitgliedstaaten für eine allfällige Konzentration des Parlamentssitzes auf einen einzigen Standort ist laut Bundeskanzler "derzeit zweifelsohne nicht gegeben".

Für Schulz ist damit nun klargestellt, dass der Rat die Schuld am "monatlichen Wanderzirkus von Brüssel nach Straßburg" trage. Eine Debatte am Gipfel sei damit obsolet, sagte er am Mittwochabend.

ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas, Vizechef der größten Fraktion im Europaparlament, verwies auf die bestehenden Verträge. Auch wenn sich jedes Parlament "natürlich wünscht, seinen Sitz selbst zu bestimmen", seien die Möglichkeiten des EU-Parlaments beschränkt, weil dessen Sitz in Straßburg vertraglich festgehalten ist. Die ÖVP-Delegation hat jetzt eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die bis Herbst klären soll, wie das EU-Parlament dennoch seine Tagungen "effizienter und kostengünstiger gestalten kann" - darunter auch die Möglichkeit, die Parlamentstätigkeit komplett in Straßburg anzusiedeln.

Derzeit hält das EU-Parlament zwölf Plenarsitzungen in Straßburg ab, während die Beratungen der Ausschüsse üblicherweise in Brüssel stattfinden und die Verwaltung in Luxemburg angesiedelt ist. Eine Änderung des Straßburg-Sitzes könnten die Regierungen nur einstimmig beschließen. Eine Zustimmung Frankreichs zur Aufgabe des Straßburger Sitzes gilt als nahezu ausgeschlossen.

Vor dem Rückzieher Borrells hatte es geheißen, dass auch der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende und Belgiens Premier Guy Verhofstadt das Thema beim EU-Gipfel ansprechen wollten. Laut Diplomatenkreisen haben sich aber mittlerweile auch Luxemburg, Großbritannien und Deutschland auf die Seite Frankreichs gestellt. Ein britischer Vertreter sagte am Mittwoch in Brüssel, er glaube nicht, dass die Frage ein Thema am Gipfel werde.

Der monatliche "Wanderzirkus" der Abgeordneten kostete nach früheren Schätzungen vor der EU-Erweiterung jährlich über 200 Mio. Euro. Durch eine Affäre um jahrelang überhöhte Mietzahlungen des Parlamentsgebäudes in Straßburg hatten die Gegner des zweiten Parlamentssitzes zuletzt Auftrieb erhalten. In einer Unterschriftenaktion einiger junger Liberaler haben sich bereits mehr als eine halbe Million europäische Bürger für einen einzigen Sitz des EU-Parlaments ausgesprochen. (APA)