Rechtsanwalt Richard Soyer kritisiert die Kriminalpolitik der Regierung: "Kein Wunder, dass die heimischen Gefängnisse überfüllt sind."

Foto: STANDARD/Corn

Justizministerin Karin Gastinger: "Strafe muss Strafe bleiben."

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Wien – „Die Kriminalpoiltik ist zum Stillstand gekommen und zum Stiefkind der Parteien verkommen. Kein Wunder, dass die heimischen Gefängnisse überfüllt sind.“ Der Wiener Rechtsanwalt Richard Soyer ging recht forsch ins Standard-Montagsgespräch im Haus der Musik in der Wiener Innenstadt. Sehr zur Freude des zahlreich erschienen, Fußball-WM-trotzenden Publikums, das eine spannende, von STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl moderierte Diskussion mitverfolgen konnte. Denn auf dem Podium saßen weiters nicht nur Justizministerin Karin Gastinger (BZÖ) als poltisch Verantwortliche, sondern auch SP-Justizsprecher Hannes Jarolim sowie der Leiter der Strafvollzugsakademie, Wolfgang Gratz.

Populismus

Soyer kritisierte, dass seit dem „Glanzstück“ der Justizgeschichte, nämlich der Strafrechtsreform von 1975, nichts mehr unternommen worden sei, um viele neue Herausforderungen in Angriff zu nehmen. Die Kriminalpolitik der vergangenen Jahrzehnte habe sich vielmehr darauf beschränkt, in (Vor-)Wahlzeiten populistische Maßnahmen zu setzten.

Gewerbsmäßigkeit

Als Beispiele nannte der Rechtsanwalt die Aufnahme des Begriffes „Gewerbsmäßigkeit“ ins Strafgesetz. „Damit ist es möglich, einem einfachen Ladendieb eine zehnmal höhere Strafe aufzubrummen“, erklärte Soyer. Bei Drogenkriminalität sei der Strafrahmen dadurch sogar auf „lebenslang“ erhöht worden. „Ein Tabubruch, denn diese absolute Höchststrafe galt in Österreich bis dahin nur für Tötungsdelikte.“ Die Justizministerin verteidigte hohe Strafen für Drogendelikte. In bestimmten Bereichen müssten sie sogar noch gemäß EU-Vorgaben angehoben werden. Ihr Credo sei „Resozialisierung“, aber „Strafe muss auch Strafe bleiben“. Und bei Drogen sei sie generell „sehr restriktiv“, bekannte Gastinger. Von einer Liberalisierung halte sie nichts, auch nicht bei Haschisch.

Rückgang bei Einbrüchen

Auch Jarolim und Gratz vermissen einen sachlichen Umgang in Fragen der Kriminalpolitik. „Auf der BZÖ-Homepage war unlängst zu lesen, dass Diebstähle ,ausufern‘ und deshalb die Strafen verdoppelt werden sollen. Die Fakten weisen allerdings das Gegenteil aus: Diebstähle und Einbrüche gehen klar zurück.

Die BZÖ-Forderung ist also eine reine populistische Maßnahme“, zeigte sich Gratz empört. Und Jarolim, von Beruf ebenfalls Rechtsanwalt, assistierte: „Das ist ein altes politisches Spielchen: Zuerst wird die Gefahr überzeichnet, dann Retter in der Not gespielt.“ Als Folge der restriktiven Drogenpolitik seien die Gefängnisse mit jungen Suchtgiftkonsumenten gefüllt. „Aber Hauptsache, die Polizei hat ihre Verhaftungsquoten erfüllt und kann eine positive Bilanz vorweisen“, ätzte der SP-Justizsprecher. Was den Ausbau von vorzeitigen Haftentlassungen mit bedingten Strafnachlässen betrifft, herrschte auf den Podium Einigkeit. Gastinger bekräftige ihren Willen, die auch im Regierungsprogramm vorgesehenen bedingten Entlassungen voranzutreiben.

Khols "harte Hand"

Allein, was fehle, sei eine entsprechende Mehrheit im Parlament. Wie berichtet, sperrt sich vor allem die ÖVP dagegen. Was Jarolim zu einem der sonst seltenen parteipolitischen Statements in dieser Runde verführte: „Nationalratspräsident Andreas Khol muss immer seine harte Hand unter Beweis stellen.“

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass Österreich mit bedingter Entlassung sehr restriktiv umgeht. Während hier zu Lande nur jeder Vierte vor Ablauf der Gesamtstrafe entlassen wird, ist es in Deutschland die Hälfte aller Häftlinge. In der Schweiz sogar 90 Prozent. Die Justizministerin nahm auch die Gerichte in die Pflicht. „Letztendlich entscheiden die Richter, wer bedingt entlassen wird“, so Gastinger. In dieser Frage gebe es außerdem ein starkes Ost-West-Gefälle in Österreich.

„Aber das Justizministerium kann das mit Gesetzesvorschlägen ändern“, warf Rechtsanwalt Soyer ein. Entsprechende Konzepte lägen seit Jahren auf dem Tisch. (Michael Simoner, DER STANDARD Printausgabe, 14.06.2006)