Menschen verändern sich im Laufe ihres Lebens. Doch viele Betriebe nehmen darauf null Rücksicht. Sie bezahlen ihre eigene Starrheit freilich mit hohen Kosten für Krankenstände und innere Kündigungen. Andere Organisationen versuchen, ihren erfahrenen Mitarbeitern ein passenderes Umfeld zu bieten und stecken mehr Fantasie in neue Wege. "Ent-Ärgerungstraining", andere Arbeitsabläufe und neue Karriereverläufe führten bereits zu bedeutenden Kosteneinsparungen in einigen Organisationen.

Von Lydia Ninz (45) Wien - Die älteren Fahrer fühlten sich wie im Krieg, Stressfaktoren von allen Seiten: draußen die anderen Verkehrsteilnehmer, die sie zum Bremsen zwingen, drinnen die Fahrgäste, die dabei nicht umfallen dürfen. Dazu noch eine militärisch straff organisierte Zentrale, die kaum Fehler toleriert. In der Folge wurden die Buschauffeure der Münchner Verkehrsbetriebe immer aggressiver, entwickelten einen ausgesprochenen Widerwillen gegen die Arbeit, hatten keinen Funken Verständnis für lästige Kunden. Der Grant im Job wirkte sich auch zu Hause aus. Freizeitaktivitäten fielen einer ständigen Müdigkeit zum Opfer - ein Teufelskreis. "Wir haben mit diesen 50- bis 54-jährigen Männern 20 Tage trainiert. Körperliche Fitness, Selbsterfahrung, Ent-Ärgerungstraining", erzählt Rudolf Karazman (45) vom Institut für betriebliche Gesundheitsförderung (IBG) von seinen Erfahrungen mit den Münchner Busfahrern. Ent-Ärgerung klingt gut. "Sie mussten erkennen, dass es nicht gegen sie persönlich gerichtet ist, wenn ein Gast wie ein Torpedo daherschießt", erklärt Karazman. Die Männer lernen, solche Situationen aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. "Jeder muss dabei seinen eigenen Weg finden", ergänzt Irene Kloimüller (36) vom IBG. Mit zunehmendem Alter sinkt die Stresstoleranz. "Man verliert früher die Fassung und braucht länger, sich wieder zu erholen." Die Resultate waren erstaunlich: Die Fahruntauglichkeit verringerte sich um 80 Prozent, der Krankenstand sank um fünf Tage und die Männer gingen zwei Jahre später in Pension. Für die Münchner Verkehrsbetriebe schlug sich das Gesundheitsprogramm der Österreicher mit klingender Münze zu Buche. München ist überall. Menschen verändern sich im Laufe des Lebens. "Körperlich geht's bergab, bei den einen früher, bei den anderen später. Das geistig-soziale Potenzial nimmt mit dem Alter zu, Erfahrung, Weisheit und Urteilskraft wachsen. Auch psychisch bleibt die Lernfähigkeit erhalten, allerdings nur dann, wenn die Lerninhalte altersadäquat vermittelt werden", schildert Kloimüller. Starre Arbeitsstrukturen Doch die meisten Unternehmen lässt der menschliche Alterungsprozess ihrer Mitarbeiter völlig kalt, die Arbeitsstrukturen bleiben starr. Die Konsequenzen sind längere Krankenstände, mehr Unfälle oder Konflikte. Und das kostet. Eine Schlüsselrolle spielt die soziale Umgebung. "Krank werde ich, wenn meine Leistung und mein Potenzial nicht sichtbar gewürdigt wird. Soziale Abwertung macht alt und krank", hält Karazman fest. "Was kränkt, macht krank", hat schon der Tiefenpsychologe Erwin Ringel betont. Gesund bleibt also, wer Anerkennung und Wertschätzung erfährt. Ein Paradebeispiel seien die Krankenschwestern. "Die meisten steigen mit 40 aus ihrem Beruf aus, gerade dann, wenn sie am allermeisten können", schildert Kloimüller. Sie wechselten in die Administration oder in die Lehre. Ausschlaggebend sei die mangelnde Anerkennung. Weder die Patienten noch die Ärzte zeigten ihnen die nötige Wertschätzung. Schlimmer noch, ihre gestiegene Kompetenz stehe in klarem Widerspruch zu ihrer Rolle. Selbst der unerfahrenste Turnusarzt könne sich im hierarchisch organisierten Spitalswesen besser durchsetzen als eine fachlich versierte Krankenschwester. Hinzu komme ein verformtes Selbstbild. "Wer mit 43 noch am Krankenbett sitzt, muss sich auch noch gegen den Vorwurf verteidigen, es nicht geschafft zu haben", weiß Kloimüller aus Tiefeninterviews. Mithilfe des IBG wird nun in Wien ein neues Karrieremodell für Krankenschwestern mit dem Arbeitstitel "meisterhafte Pflege" entwickelt. Das gewachsene Wissen der Schwestern soll sich in Geld, neuen Karrierestufen und Weiterbildung auswirken. Fünf verschiedene Gruppen Fünf verschiedene Gruppen von "älteren" Mitarbeitern stellte Ulrich Schönbauer in einem von der Arbeiterkammer Wien 1998 herausgegebenen Buch "Ältere am Arbeitsmarkt" fest. Schlecht qualifizierte Frauen bilden Gruppe Nummer eins. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes doppelt belastet und gesundheitlich angeschlagen: Sie arbeiten als Hilfskräfte im Gastgewerbe, Handel oder in Textilbetrieben, meist in prekären Verhältnissen. Gleichzeitig stehen sie auch privat unter Druck, als Alleinerzieherinnen, Geschiedene oder als Schuldnerinnen. Sie möchten in Frühpension, bringen aber wegen ihrer "Hausfrauenperioden" nicht die nötigen Versicherungsjahre zusammen. Die zweite Gruppe Frauen und Männer mit starren, vom Taylorismus geprägten Berufskarrieren bilden die zweite Gruppe. Sie sind auf fixe und klar vorstrukturierte Beschäftigung ausgerichtet. Etwa auf arbeitsteiliges Arbeiten und Karrieresprünge nach Schlüsselqualifikationen und nach dem Senioritätsprinzip. Ihre Welt gerät durch verschärften Wettbewerb und drohende Abwanderungen in Niedriglohnländer völlig aus den Fugen. Sie tun sich auch schwer, das fremdbestimmte Arbeitstempo einzuhalten. Als Ausweg schlagen Arbeitsmediziner vom Schlage Kloimüller & Karazman für diese Gruppe vor, dass sie ihren eigenen Arbeitsrhythmus selbst bestimmen und so Abläufe besser kontrollieren können. Als zusätzlichen Tipp schlagen sie die Umstellung auf Arbeitsgruppen vor. Die Initiative ergreifen müsste der Chef. Gruppe drei Gruppe drei sind die Bauarbeiter, das Pendant zu den Frauen der Gruppe eins. Sie geraten immer stärker in den Teufelskreis, dass die Arbeit zunimmt, während der Körper nachlässt. Bei körperlichen Arbeiten setzt der leibliche Verfall schon mit 42, 43 Jahren ein, die Lebenserwartung verkürzt sich um fünf Jahre. Auch diese Männer warten aufgrund ihrer Befindlichkeit schon sehr sehnsüchtig auf die Frühpension. Ihren Chefs und auch den Gewerkschaften rät Karazman dringend: Aufhören mit der Heuchelei, dass sie gleich leistungsfähig seien wie Junge. Körperliche Hebe- und Trageleistungen sollten gesenkt und kürzere Arbeitszeiten vereinbart werden. Der Betrieb sollte sie auch mit geeigneter Schutzwäsche ausstaffieren. Zudem sollten neue Aufgaben für sie überlegt werden, die ihnen neue Handlungsspielräume eröffnen. Die Einschulung der Jungen wäre eine ideale Möglichkeit, wo sie ihre Erfahrungen einbringen und ihre Körper etwas schonen könnten. Gruppe vier Zur Gruppe vier zählt Schönbauer Frauen in mittleren und leitenden Positionen. Sie scheiden mit zunehmendem Alter oft deswegen aus dem Arbeitsprozess aus, weil ihre Chefs ihre Leistungen ganz offensichtlich nicht honorieren. Sie scheitern an der "gläsernen Decke", dürfen weder nach dem Qualifikations-noch nach dem Senioritätsprinzip vorrücken. Sind diese Frauen zu finanziellen Abstrichen bereit, finden sie relativ schnell wieder einen Job. Das ist ihnen meistens lieber als der Sprung in die Selbstständigkeit. Große Chancen für diese Frauen sieht Ulrich Schönbauern in Qualifizierungsmaßnahmen des Arbeitsmarktservices. Fünfte Gruppe In der fünften Gruppe sind männliche Angestellte in mittlerer und leitender Position zusammengefasst, die oft ihren Job verlieren, weil sie entweder zu teuer sind, ihre Arbeitgeber pleite machen oder sie neuen Managementkonzepten zum Opfer fallen. Statt ihnen zu kündigen, könnten sie in der Firma mit neuen Aufgaben betraut werden. Einmal gekündigt, müssen sie oft ziemlich saftige finanzielle Einbußen in Kauf nehmen, um einen neuen Job zu kriegen. Dazu sind viele von ihnen nicht bereit und wagen den Sprung in die Selbstständigkeit. Ob selbstständig oder nicht, in beiden Fällen kann ihnen das Arbeitsmarktservice mit Gründungs- oder Motivationsseminaren helfen. Wichtig aus arbeitsmedizinischer Sicht ist, dass sich neue Gestaltungsfreiräume und Abenteuer ergeben.