grafik: DER STANDARD
EU/Türkei an neuer Krise knapp vorbei Nach einem Nervenkrieg stimmte Zypern am Montag dem Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu. Diese droht der EU bereits mit einer "neuen Europapolitik".

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"Falls die Türkei ihre Verpflichtungen aus dem Assoziierungsabkommen nicht erfüllt, wird das den gesamten Verhandlungsprozess beeinträchtigen. Alle relevanten Elemente der Deklaration der EU und ihrer Mitgliedsstaaten von 21. September 2005 werden unterstrichen."

Diese beiden technisch-dürren Sätze beendeten am Montag einen seit Tagen andauernden Nervenkrieg zwischen EU und Zypern um den faktischen Beginn der Beitritsverhandlungen mit der Türkei. Noch am Montag konnte damit das erste Verhandlungskapitel über Forschung und Wissenschaft eröffnet und abgeschlossen werden.

Zypern wollte mit allen Mitteln die Deklaration vom September 2005 in das erste Kapitel hineinreklamieren. In dieser Deklaration wird die Türkei aufgefordert, Zypern diplomatisch anzuerkennen.

Montag war nach endlosen Verhandlungen am Wochenende die Stimmung bereits sehr gereizt, die EU wie auch die österreichische Präsidentschaft mussten sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es kein grünes Licht für den Verhandlungsbeginn mit den Türken geben würde. "Die Vertrauenswürdigkeit der EU stand am Spiel", sagte ein Diplomat. Dass es dabei allerdings nur vordergründig um die Forderung der diplomatischen Anerkennung ging, wurde schnell klar: Die Türkei habe in internationalen Organisationen gegen Zypern in der Vergangenheit fünfmal ein Veto eingelegt, daher dürfe seine Haltung niemanden überraschen, sagte der zypriotische Außenminister Georgios Iaocovou. Hinter den Kulissen der Tagung der Außenminister galt der überraschende Auftritt Zyperns als "Säbelrasseln"für Verhandlungen um die Öffnung der türkischen Häfen und Flughäfen für das EU-Mitglied. "Es sei durchaus auch ein 'Weckruf'für die Türkei gewesen", sagte ein österreichischer Diplomat.

Doch auch die Türkei stimmte am Montag rauere Töne an: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte mit einer "neuen Politik"gedroht. Wenn der Verhandlungsprozess von politischen Erwägungen überschattet werden sollte, werde die Haltung der Türkei künftig "ganz anders"aussehen.

Möglichkeiten für weitere Einsprüche im Verhandlungsprozess mit der Türkei gibt es genug: Mehr als hundert formale Schritte in den EU-Entscheidungsprozessen stehen der Türkei vor einem Beitritt zur Europäischen Union noch bevor. 35 Teilkapitel müssten einstimmig abgeschlossen werden. Dazu kommen zum jeweiligen Kapitel Vorverhandlungen - macht in Summe schon 105 Veto-Möglichkeiten für Gegner des EU-Beitritts, sagt Antonio Missiroli, Chefpolitologe am European Policy Centre in Brüssel laut APA. Für den Politik-Experten stellt sich die Frage, ob die Türkei jemals der EU beitritt. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.6.2006)