Grafik: FAS.research
Wien - An der Adria des Wiener Donaukanals proben sie am Vorabend der WM mit einer Tonkonserve die Lautstärke des Jubels. Bald werden die von Dilettanten (im Wettstreit um den Edi-Finger-senior-Pokal) zu kommentierenden WM-Spiele laufen. Nebenan im Glaspavillon geht eine von der Kommunikationsplattform "doppio espresso"organisierte Diskussion zum Thema "Forschung und Fußball"zu Ende, Diskussionsleiter Giovanni Steiner eröffnet launig die WM und übergibt quasi den Stab der Wissenschaft an den Standard.

Heute und regelmäßig während der WM wird im WM-Standard eine Netzwerkanalyse der Firma FAS.research zu sehen sein, aufgezeichnet von den Wissenschaftern Harald Katzmair und Helmut Neundlinger, analysiert vom unschlagbaren WM-Team des Standard-Sports. Katzmair gründete die GesmbH mit dem unaussprechlichen Namen "Forschungsgesellschaft für Angewandte Strukturanalyse"(FAS), um Beziehungsgeflechte in Forschung und Firma systematisch und mit mathematischen Modellen darzustellen und zu visualisieren.

Von Wien bis Frisco

Die Anwendungsgebiete reichen vom Risikomanagement über die Darstellung der inneren und äußeren Kontakte von Unternehmen, Marketing, Werbung und Vertrieb bis zur Karriereplanung. Die Kunden der in Wien und San Francisco etablierten Firma reichen von der Arbeiterkammer Wien über Ikea und Mobilkom bis zur OMV.

Die Beschäftigung mit dem Fußball ergab sich nach der Euro 2004 in Portugal, die UEFA hatte freundlicherweise alle erforderlichen Daten (wer passt wie oft zu wem?) ins Netz gestellt, Katzmair musste die Spiele nur noch in eine Zeichnung transkribieren.

Virtuelle Ebene

Ein Bild des Spiels zwischen Portugal und England (nach Verlängerung 2:2, im Elferschießen 6:5) ergab, dass Nuno Valente, Deco und (Cristiano) Ronaldo bei den Portugiesen, Beckham, Lampard und Owen bei den Engländern das Spiel führten. Die FAS änderte die Kriterien der UEFA leicht. Katzmair: "Die UEFA zeichnet alle angekommenen Passes auf, das überbewertet aber meiner Meinung nach das Kurzpassspiel. Wir berücksichtigen auch die intendierten Passes."Was eine Gestaltungsebene in das Bild einfügt. Quasi eine virtuelle Ebene, weil die intendierten Passes mit den angekommenen Passes Alternativen darstellen. Oder eben nicht angekommene, kreative, aber nicht vollzogene Lösungen.

Reiche und Arme

Die FAS zeichnete gemeinsam mit Wolfgang Neurath vom "Rat für Forschung und Technologie"auch das europäische Transfernetzwerk nach. Diese Marktanalyse zeigt eine Zweiteilung in Reiche, die Ressourcen (Kicker) verbrauchen, und Arme, die Ressourcen schaffen. Real Madrid, mit großem Abstand Barcelona, Celta de Vigo und FC Sevilla (in Verbindung mit Chelsea) sowie das nur als Korruptionsszenario zu beschreibende italienische Karussell zwischen dem Fußballverschiebebahnhof Juventus, Inter, AC Milan, AC Florenz, Lazio Rom und Parma treibt den Preis für Fußballer (sozusagen willkürlich) in gigantische Höhen. Neurath: "Der Transfermarkt im Fußball ist hochgradig globalisiert, die Hauptkäufer ziehen von überall Personal her. Der Markt ist hochgradig zentralisiert, Wenige bestimmen den Preis."

Andere wie der ehemalige Champions-League-Sieger FC Porto (Neurath: "Da spielen alte koloniale Verbindungen eine Rolle") oder fast von jeher Ajax Amsterdam schaffen Werte, indem sie Fußballer ausbilden und sie verkaufen. Sie müssen sich auch damit finanzieren. Real und Co müssen ständig woandersher Kapital ziehen, durch Markenartikelverkauf oder Sponsoring. Das schafft großen Korruptionsdruck.

Chelsea irgendwie arm

Die Netzwerkanalyse führt auch vor Augen, dass die steinreiche Chelsea ein schlechtes Verhältnis von Kapital und Erfolg aufweist. Das passiert auch in ganz kleinen Märkten wie dem österreichischen, über den nicht zuletzt seit dem Skandal um Kurt Jara und Salzburg eine Netzwerkanalyse (inklusive Spieleragenturen) Aufschluss geben könnte. (DER STANDARD, Printausgabe, Montag, 12. Juni 2006, Johann Skocek, Fritz Neumann)