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Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mit Huda Ghalia (10), die ihre gesamte Familie verlor.

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Neue Zuspitzung in Nahost: Sieben unbeteiligte Palästinenser wurden am Wochenende vermutlich durch eine israelische Granate getötet. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas setzte die Hamas durch Ausrufung eines Referendums weiter unter Druck.

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Am 26. Juli soll das palästinensische Volk über ein nationales Programm abstimmen, mit dem Präsident Mahmud Abbas der islamistischen Hamas-Regierung seinen Willen aufzwingen will. Zugleich setzt Abbas den Dialog mit Hamas-Premier Ismail Haniyeh aber fort: Sollte man sich in den nächsten Wochen doch noch einigen, dann würde das Referendum überflüssig.

Abbas musste sich indessen gegen die Vorwürfe von Hamas-Funktionären wehren, wonach ein Referendum im Grundgesetz nicht vorgesehen sei und er damit bloß den Ausgang der Parlamentswahlen vom letzten Jänner unterlaufen wolle. "Da nichts im Gesetz das Referendum verbietet, ist es erlaubt", sagte Abbas in Ramallah. Die wahlberechtigten Palästinenser sollen am 26. Juli gefragt werden, ob sie das so genannte "Gefangenen-Dokument der nationalen Versöhnung" unterstützen.

Indirekte Anerkennung Israels

Prominente Häftlinge, die verschiedene palästinensische Fraktionen vertreten, hatten sich vor einigen Monaten in einem israelischen Gefängnis auf ein Programm geeinigt, aus dem eine indirekte Anerkennung Israels abgeleitet werden kann.

Fatah und Hamas versichern, dass ein "Bürgerkrieg" ausgeschlossen sei, doch am Samstag kam es in Gaza abermals zu einer Schießerei, als der Konvoi von Raschid Abu Schabak, einem von Abbas eingesetzten Polizeikommandanten, von Hamas-Leuten überfallen wurde.

Am Freitag gegen fünf Uhr Nachmittag sah ein kleiner Strandabschnitt im nördlichen Gazastreifen plötzlich aus wie ein Schlachtfeld - die Bilder von der entsetzt kreischenden zehnjährigen Huda Ghalia, die beim Picknick auf den Dünen ihre Eltern und Geschwister verloren hatte, gingen um die Welt.

Dreitägige Trauer

Die Palästinenser sprachen von einem "Massaker" und einem "Verbrechen", Abbas rief eine dreitägige offizielle Trauerperiode aus und versprach, für das verwaiste Kind zu sorgen. Die politische Konsequenz des Zwischenfalls war, dass die Hamas eine Art "Waffenruhe" für beendet erklärte, die seit 16 Monaten theoretisch gegolten hatte. "Das Erdbeben in den zionistischen Städten wird wieder beginnen", hieß es drohend auf Hamas-Flugblättern.

Mindestens 20 Raketen schlugen dann bis Sonntag in Israel ein, wobei ein Israeli schwer verletzt wurde. Die Palästinenser waren umso zorniger, als erst Freitagfrüh drei Mitglieder eines mutmaßlichen Raketenwerferkommandos bei einem gezielten israelischen Luftangriff getötet worden waren, und am Donnerstag war bei einem israelischen Luftschlag gegen ein Trainingslager im Gazastreifen der populäre Jamal Abu Samhadana gestorben - die Israelis hatten ihn seit Jahren als Erzterroristen gesucht, doch die Hamas-Regierung setzte ihn zuletzt als Sicherheitschef ein.

Feuer ins offene Gelände

Seit Monaten feuert israelische Artillerie regelmäßig im grenznahen Gebiet ins offene Gelände, um die palästinensischen Raketenwerfer zurückzudrängen. Verteidigungsminister Amir Peretz drückte gegenüber Abbas tiefstes Bedauern über den Tod der Zivilisten aus und bot Hilfe an, sprach aber zugleich von der Möglichkeit, dass es sich um einen "innerpalästinensischen Zwischenfall" gehandelt haben könnte. Auch hohe israelische Offiziere sagten, es werde noch untersucht, ob die Explosion tatsächlich durch ein israelisches Geschoß ausgelöst worden sei. Bei dem Sprengkörper könne es sich auch um einen seit Langem am Strand gelegenen Blindgänger, eine angeschwemmte Mine oder eine verirrte palästinensische Rakete gehandelt haben. (DER STANDARD, Printausgabe 12.6.2006)