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Bei der Eröffnungsfeier am Freitag in München zeigten der dreimalige Champion Pelé und Deutschlands Schönheit Claudia Schiffer der Welt, worum sich in den nächsten Wochen alles drehen wird.

Foto: AP/Daniel Maurer
Leipzig - In Costa Rica ruht das öffentliche Leben, in Bangladesch erzwingen Studenten einen Sonderurlaub, in China stehen zehn Milliarden Menschen nachts auf, und im Irak hoffen die Fans auf einen Waffenstillstand - die WM hat weltweit eine unglaubliche Fußball-Euphorie entfacht.

Die Kirche von England veröffentlichte mit der Bemerkung "Bei einem Elfmeterschießen wird man schwer einen Atheisten finden" sogar ein spezielles Gebet für gläubige Anhänger, mit dem David Beckham und Co geholfen werden soll, vor allem dem kongenialen Elferkasperl Beckham.

Holland kontert mit Oranje-Kapperln für Hunde. Das traditionelle Anmalen des besten Freundes des Menschen ist inzwischen aus Tierschutzgründen verpönt.

"Insgesamt 32 Milliarden Zuschauer weltweit" werde die WM haben, verkündete FIFA-Chef Sepp Blatter bei der Eröffnung des TV-Zentrums, und das bei immerhin 6,5 Milliarden, die in diesem Jammertal wandeln.

Damit im Land des Weltmeisters Brasilien alle, aber auch wirklich alle mit dabei sein können, selbst die Gestresstesten unter den Gestressten, schließt sogar die Börse von São Paulo - ebenso Geschäfte und öffentliche Einrichtungen - spätestens eine Stunde vor Spielbeginn. Längstens wenn diese abgelaufen ist, könnte es zu Stromausfällen kommen, warnen die Energieversorger.

In Costa Rica hatte das Erziehungsministerium allen Schulkindern und öffentlichen Angestellten für das Eröffnungsspiel gegen Deutschland Sonderurlaub verordnet, weil "das Land ohnehin paralysiert ist" (Arbeitsminister Francisco Morales). Auch in Ecuador gab Präsident Alfredo Palacio für das erste Spiel gegen Polen "WM-frei", allerdings müssen die Ausfallzeiten in den kommenden Wochen nachgearbeitet werden.

Lernstreik

In Bangladesch finden die Prüfungen der staatlichen Hochschule für Technologie erst nach der WM statt, weil 2000 Studenten mit einem Straßenstreik Ferien erzwangen. Zwingendes Argument der Demonstranten: "Wir können nicht nachts WM schauen und tagsüber studieren."

Selbst Bürgerkriege sollen vor dem Fußball-Ereignis im fernen Deutschland kapitulieren. (Na ja, das ist jetzt wahrscheinlich etwas übertrieben, so etwas wäre eine historische Premiere) "Die Begeisterung für die Weltmeisterschaft eint das geteilte Land", heißt es gleichwohl hoffnungsfroh in der Elfenbeinküste, wo große Bierkrüge neuerdings nach dem Chelsea-Legionär "Drogba"heißen.

Angola sieht sich nicht mehr als "Land des Krieges, sondern des Fußballs". Im Irak hoffen die Menschen auf einen Waffenstillstand, ansonsten wäre der Aufenthalt in den TV-Cafés lebensgefährlich. Den stolzen Preis von 135 Euro für das WM-Paket eines Pay-TV-Senders kann kaum jemand aufbringen.

In Jordanien versprach der millionenschwere König Abdullah II., 23 Großbildschirme in Armenvierteln aufzustellen und die Armee mit Satellitenempfängern auszurüsten. In Bolivien befahl Präsident Evo Morales sogar eine Freigabe der Übertragungen eines Pay-TV-Senders für die arme Landbevölkerung.

In den reicheren Ländern wird die WM als Investiti- onsschub für die private Hightechausrüstung genutzt: Man kauft sündteure Plasmabildschirme, weltweit wurden so viele wie noch nie verkauft.

Schnäppchenjagd

Auch anderweitig rollt der Rubel: Ein Meinungsforschungsinstitut aus Thailand verkündete stolz, dass die Einwohner des Landes während der WM über eine Milliarde Dollar verzocken. Liebesdamen aus Japan bieten derweil einen speziellen WM-Discount von 3000 Yen, wenn ihre Kunden einen gezielten Schuss auf besonders empfindliche Teile des Körpers abwehren.

Halbwegs den Überblick behalten hat der malaysische Innenminister Mohamed Radzi Sheikh Ahmad, der die Staatsbediensteten ausdrücklich vor dem WM-Fieber warnte und Überraschungsvisiten von Premierminister Abdullah Ahmad Badawi in ihren Büros ankündigte.

Eine Bürgerrechtsgruppe in Südkorea startete sogar eine Kampagne gegen die Fußball-Euphorie und bezeichnete die WM als Plage. Auf einem Aufkleber heißt es: "Gibt es keine wichtigeren Probleme in der Welt als diese WM?"

Die Frage ist gut. Die Antwort darauf wird die Fragesteller allerdings nicht zufrieden stellen. (DER STANDARD, Printausgabe, Samstag, Sonntag, 10., 11. Juni 2006, sid, wei)