Ethiker Johannes Huber, Rechtsanwältin Elisabeth Rech, STANDARD-Redakteur Andreas Feiertag, Ministerin Maria Rauch-Kallat, Ärztekammer-Obmann Norbert Jachimowicz und Philosophie-Dekan Peter Kampits

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Wien - Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat plädierte dafür, dass man "lernen muss, die Menschen auch sterben zu lassen". Bei der Standard -Debatte zum neuen Patientenverfügungsgesetz am Donnerstagabend erzählte sie die berührende Geschichte vom Sterbebett ihres Schwiegervaters, den sie und die Familie wochenlang betreut hatten.

Entscheidung gegen das Leben

Das Patientenverfügungsgesetz ist seit 1. Juni in Kraft und ermöglicht es Menschen, vorweg darüber zu entscheiden, dass bei Eintritt einer Krankheit oder eines Unfalls medizinische Behandlungsmethoden wie lebensverlängernde Maßnahmen nicht gesetzt werden sollen. Dem muss ein beratendes Gespräch mit dem Arzt vorausgehen. Die Patientenverfügung muss ein Notar, Rechtsanwalt oder ein Patientenanwalt unterschreiben, sie gilt für fünf Jahre als verbindlich. Die Verfügung kommt erst dann zum Einsatz, wenn der Patient bei Eintreten der Krankeit nicht mehr fähig ist, zu artikulieren oder selbst Entscheidungen zu treffen. Sie lässt sich formlos, auch mit Gesten, wieder rückgängig machen.

Die Patientenverfügung sei insofern einzigartig, als sie eine Willensbekundung sei, "bei der es um Leben und Tod geht", sagte die Vizepräsidentin der Wiener Rechtsanwaltskammer, Elisabeth Rech.

Der Staat am Sterbebett

Philosoph Peter Kampits befürwortet, dass die Verfügung ein "Fortschritt ist, der allen zugute kommen wird." Denn bisher konnte der Arzt den Willen des Patienten beachten oder nicht beachten. Somit werde der Arzt, der sich "als Herr über Leben und Tod verstanden hat", trotz seines Kompetenzvorsprungs gefordert, die Autonomie des Patienten zu würdigen. Kampits fragt sich: "Hat der Staat am Sterbebett wirklich was verloren?"

"Auf jeden Fall hat der Staat die Aufgabe zu schützen,"sagte die Gesundheitsministerin, auf die Ereignisse in Lainz anspielend. Es sei auch "ein Stück Sicherheit für Ärzte."

Patient entscheidet

Das Gesetz werde den Medizinern Entscheidungen nicht abnehmen, aber in Einzelfällen werde man den Willen des Patienten "authentisch vor Augen haben", sagte der Mediziner Norbert Jachimowicz. "Ärzte sind nicht Götter in Weiß,"sagte er. Entscheidungen über Leben und Tod seien belastend für die Seele.

Sein Kollege, der Vorsitzende der Bioethikkommission Johannes Huber versteht die Behandlung eines Patienten als Dialog, bei dem der Patient entscheidet, was er will. Ein Arzt "will heilen, den Tod in die Schranken weisen", auf der Intensivstation fände aber "nicht eine unnötige Arbeitsbeschaffung statt."Den Tod abzulehnen sei die Grundaussage des hippokratischen Eides, Ärzte müssten sich die Ethik und die Erfahrung dazu aneignen, weswegen, und auch aus Zeitgründen, Sterbebegleitung noch immer in der Pflege verankert sei.

Kostenfrage

Als Kritikpunkt am neuen Gesetz führte Debattenleiter und Standard-Wissenschaftsredakteur Andreas Feiertag den Vorwurf der Zweiklassenmedizin an. Denn sowohl die Kosten des Arztes, der den Patienten berät, als auch die Kosten des Rechtsanwalts müssen vom Patienten selbst getragen werden. Die Anwaltskosten würden laut Elisabeth Rech zwischen 200 und 400 Euro pro Beratungsstunde betragen. Rauch-Kallat dementierte den Vorwurf und wies darauf hin, auch Patientenanwälte, die man nicht bezahlen müsste, könnten unterschreiben.

Den Kritikpunkt, die Patientenverfügung würde nach fünf Jahren nicht mehr "verbindlich", sondern nur "zu beachten"sein und somit neuerliche Kosten verursachen, wies die Ministerin ebenso zurück: Deswegen sei die Verfü- gung nicht ungültig. "Je näher der Tod rückt, desto stärker wird der Lebenswille,"argumentierte sie.

Problem Demenz

Jeder Dritte werde im Alter dement, prophezeite Norbert Jachimowicz den Diskutanten. Von Gesetzes wegen dürfe es einem Demenz-Patienten nicht erlaubt sein, eine Verfügung zu bekommen. Deswegen wolle er das Gesetz "nicht madig machen,"lächelte er, aber in vielen Fällen sei der Arzt imstande zu entscheiden, was das Beste für den Patienten sei. So habe er eine demente 85-Jährige, bei der ein Lungentumor entdeckt wurde, keiner Chemotherapie unterzogen. Sie sei Monate später friedlich eingeschlafen.

Angriffe auf das Gesetz, dessen Vertreter und Ärzte, scheiterten in der Debatte am Faktor Mensch. Die persönlichen Erzählungen und Schicksale beeindruckten. (Marijana Miljkovic, DER STANDARD Printausgabe, 10./11.06.2006)