Paul Simon: "Surprise" (Warner)

Foto: Warner
Als hätten sie sich abgesprochen: Nach Bruce Springsteen ("Seeger Sessions") und Neil Young ( Living With War ) hat mit Paul Simon (64) ein dritter Veteran des Pop innerhalb weniger Wochen ein Album veröffentlicht, das sich dem Protest gegen Bushs Welt- und sonstigem Verständnis widmet. Dabei nährt sich Simons zehntes Solowerk weder aus dem neuen Wertbewusstsein eines Beschämten (Springsteen) noch aus der Wut des Enttäuschten (Young). Surprise vermittelt vielmehr einen Eindruck davon, wie es ist, sich zuversichtlich in die verändernde Kraft des Guten gebettet zu haben, um eines Morgens mit der verwirrenden Gewissheit zu erwachen, dass sich die Welt auch ohne philanthropischen Impuls weiterdreht.

Die Überraschung ist indes nicht nur titelgebender Dreh- und Angelpunkt von Simons musikalischer Auseinandersetzung mit den USA nach dem 11. September, sein erstes Album seit dem vor sechs Jahren entstandenen You're The One. Sie begleitet auch den Hörer durch eine Kompilation klassischen Songwritings, der ausgerechnet der ewige Avantgardist Brian Eno ein bisweilen arg poliertes Sound-Design verpasste.

Paul Simon im STANDARD-Interview: "Ich traf Brian Eno, zeigte ihm, was ich bereits erarbeitet hatte, während er mich mit seiner Soundpalette bekannt machte", erinnert sich Paul Simon an den Ursprung der Kooperation. "Und sofort ergab es sich, dass sich diese zwei Ebenen vermählten." Eine durchaus harmonische Ehe, wie angesichts des dreiviertelstündigen Resultats festzustellen bleibt. Wenn Simon in manchen Stücken auch an ergraute Geschäftsmänner erinnert, die sich von der jungen Freundin überreden ließen, es doch einmal mit einem Kapuzenpulli unterm Sakko zu versuchen.

Brian Eno bemäntelt Simons leisen Gitarrenpop, der seit den 70ern ins Melancholische kriecht wie müde Igel ins duftende Herbstlaub, mit einem Elektrogewand, das von Trance, TripHop, Drum'n'Bass und Cosmic in sämtlichen Facetten computergenerierter Klangwelten schillert. Bisweilen zeitigt dieses Ergebnis brillante Ergebnisse: Another Galaxy - eine intime, fünfminütige Ballade über den bittersüßen Schmerz, den eine Verlassende beim Neubeginn empfindet - kreuzt Trance und Country auf derart subtile Art, dass die Wirkung bar jeglichen Effekts zu bestehen weiß. Das genaue Gegenteil dann leider gleich beim folgenden Song. Once Upon a Time There Was An Ocean steht unter dem Dauerbeschuss knarzender Atari-Sounds und wird prompt versenkt. Schade sind derlei klangexperimentelle Eitelkeiten schon allein deshalb, weil sie von dem ablenken, was Surprise (wie jedes Paul- Simon-Album) im Kern ausmacht: die Liedtexte.

"Weak as the winter sun, we enter life on earth. Names and religion comes just after date of birth", singt Simon zum Beispiel in How Can You Life In The Northeast . Der Song drängte sich ihm auf, als bei der letzten Präsidentenwahl 2004 plötzlich die traditionell liberalen Staaten des Nordostens im Zuge eines sich zunehmend reaktionär gestaltenden Klimas als Abschaum der USA angeprangert wurden. "Damals stellte sich mir die Frage, warum nicht jeder an das glauben darf, woran er glaubt, und ob wir es dadurch nicht schaffen könnten, einander nicht zu hassen", sagt Simon. "Aber mittlerweile muss man sich fast fragen, ob wir die Chance auf Verständigung nicht schon für immer verspielt haben." Was bleibt, sind die Wartime Prayers mit der Hoffnung, die persönliche Integrität zu erhalten: "I'm trying to tap into some wisdom, even a little drop will do. I want to rid my heart off envy and cleanse my soul of rage before I'm through." Und: die Liebe des Vaters zu seinem Kind. "There's nothing scary hiding under your bed, I'm gonna stand guard like a postcard of a golden retriever. And never leave till I leave you with a sweet dream in your bed", besingt Paul Simon in Father & Daughter diese Elternliebe, die wie keine andere von der Zuversicht in die verändernde Kraft des Guten zeugt. Es ist der einzige Song, der nicht von Eno produziert wurde. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2006)