Bertl Mütter ist ein genauer Mensch. Und er ist mitteilsam. Das bemerkt, wer ihm begegnet, sowohl in personam als auch virtuell, im Internet. Etwa im berühmten MütterLog. Das ist jener Quell täglich erneuerter Erbauung, über den uns Bertl Mütter seine Sicht der Dinge wissen lässt. Sämtlicher Dinge.

Otto M. Zykan wird nachgerufen, der Erwerb einer "original chinesischen" Fahrradklingel gemeldet - samt Hörprobe, versteht sich. Kürzlich fand sich folgender Satz im MütterLog: "Es fängt immer mit der Flucht aus der Heimat an und hört mit der Sehnsucht nach einem Zuhause auf."

Der Satz ist auf einen Politiker gemünzt, zu dem Mütter größtmögliche Distanz wahren will. Und doch scheint er auch etwas über ihn selbst auszusagen. Über jenen 1965 in Steyr Geborenen, der in seiner Jugend Priester werden wollte und der erste musikalische Erfahrungen in der Stadtkapelle Steyr sammelte - um schließlich als konfessionsloser Jazz-Posaunenstudent an der Grazer Musikuniversität zu landen. So weit zur "Flucht". "Meine Vorfahren waren weder (...) Baumwollpflücker in den Südstaaten noch sibirische Schamanen. (...) Die einzige Tradition, bei der ich überhaupt die Chance habe, sie authentisch zu verstehen, ist die, in die ich - ziemlich unbemerkt - hineingeboren wurde. Auf ihr baue ich, differenzierend, freundlich kritisch, ganz sicher nicht hurrapatriotisch, so hoffe ich", sollte Bertl Mütter einige Jahre später notieren.

Die Traditionen, auf die er sich (wieder) bezieht - sie sind primär biografischer Natur. Zum Beispiel in Gestalt des frei improvisierenden Solo-Bespielens von Räumen, dessen Wurzeln er selbst in den auratischen Mess-Performances des Priesters sucht, als dessen Ministrant er einst frühe Bühnensituationen erlebte. Und auch bezogen auf das musikalische Material ist der heutige Wahl-Wiener Mütter, den mit Literaten wie Josef Haslinger und Franzobel langjährige Zusammenarbeit verbindet, in gewisser Weise heimgekehrt.

Die Collagen

War doch der Auftrag des Wiener Konzerthauses zur Nachkomposition von Schuberts Winterreise für ihn Anlass, sich den teils verschütteten Spuren des Liederfürsten in Steyr und also der eigenen Vergangenheit zu widmen: Mütters freie bis respektvolle Posaunen-Vokalisen-Collagen geben Schubert denn auch in substanzvoll-gewitzter Weise, um Erinnerungen zwischen Fritz Wunderlich und Heinz Conrads bereichert, wieder.

Ähnliches widerfährt Schubert im Zuge der Solo-Vermütterung der Schönen Müllerin wie auch Schumanns Dichterliebe, die im Rahmen der styriarte ihre Premiere erlebt. Nein, Bertl Mütter sieht keine Parallelen zu Uri Caine. Dafür ist seine Materialaneignung eine viel zu persönliche. Mütter: "Es ein sehr individuelles Nachhören und ein Dem-Nachgehen - wie in der Badewanne oder bei einem Waldspaziergang. Der zentrale Terminus ist der der Badewannenmusik." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.6.2006)