Wien – "Schade, dass ihr keinen ethnischen Konflikt hattet. Sonst hätte euch die EU eine Mitgliedschaft angeboten." Für den Politologen Taras Kuzio von der George-Washington-Universität ist dies das zentrale Signal der EU an Kiew. Anders sei es nicht zu verstehen, dass den Westbalkan-Ländern eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, der Ukraine aber eine Beitrittsperspektive verweigert werde.

Ein Widerspruch der europäischen Politik, der sich in der Ukraine nach Ansicht des Experten fatal auswirken könnte: Um schwierige Reformen durchzuführen – etwa bei der Konsolidierung der parlamentarischen Demokratie und der Marktwirtschaft sowie beim Kampf gegen die Korruption –, brauche es eine "externe Karotte".

Das zeige die Erfahrung in Osteuropa und der Türkei, sagte Kuzio im Gespräch mit dem STANDARD. Notwendig sei daher "eine Art Formel", die Kiew langfristig eine offene Tür zeige. Sonst drohe auch eine Schwächung der reformorientierten Kräfte, etwa bei den Präsidentenwahlen 2009.

In der Ukraine selbst ist das Ziel des EU-Beitritts unumstritten – zur Zerreißprobe könnte hingegen die angestrebte Nato-Mitgliedschaft werden, glaubt Dmitri Trenin vom Carnegie-Zentrum in Moskau. Wie Kuzio und weitere Experten wird er heute, Donnerstag, bei der Konferenz "Die Schlacht um die Ukraine" des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP) und der Marshall Foundation über den Einfluss der EU, der USA und Russlands auf die ehemalige Sowjet-Republik diskutieren.

Russland erkenne die Unabhängigkeit der Ukraine grundsätzlich an, betont Trenin – die Krise um die Gaspreise zwischen Moskau und Kiew Anfang des Jahres habe dies deutlich gezeigt. Ein Beitritt zu dem als anti-russisch angesehenen transatlantischen Militärbündnis hingegen könnte eine "massive russischen Intervention" provozieren mit dem Ziel, die Mitgliedschaft zu verhindern.

Diejenigen in Russland, die eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine "als Übertretung der roten Linie sehen", seien in den obersten Rängen der russischen Politik stark vertreten, betont der Experte.

Sie würden dann etwa jene politischen Kräfte in der Ukraine unterstützen, die einen Nato- Beitritt ablehnen. Dazu gehört vor allem die "Partei der Regionen" von Ex-Ministerpräsident Viktor Janukowitsch, der im Herbst 2004 die Präsidentenwahlen gegen das heutige Staatsoberhaupt Viktor Juschtschenko verloren, bei den Parlamentswahlen im März aber die meisten Stimmen bekommen hatte.

Da die Mehrheit der Ukrainer eine Nato-Mitgliedschaft nicht befürworte, seien "weit reichende Spannungen" vorprogrammiert, welche die Spaltung des Landes in Befürworter und Gegner der Westintegration vertiefen und den notwendigen Reformprozess überlagern würden, glaubt Trenin. Zumal die Ukraine auch zwei Monate nach den Wahlen noch keine Regierung hat und die zukünftige Führung wenig stabil sein werde.

(DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2005)