Wien - Ein Tenor kommt auf die Bühne. In einer Opernaufführung hätte er den Don Giovanni verkörpern sollen, doch zwei Wochen vor der Premiere hat der Regisseur bemerkt, dass der Sänger kein Bariton ist, und hat umbesetzt. Er trifft auf eine merkwürdige Gestalt, die wie ein Clochard einen Einkaufswagen voll mit Papieren vor sich herschiebt - und der sich offenbar für Casanova hält.

Beide verstricken sich in ihre Rollen; auch der Sänger kann die Bühnenfigur nicht mehr abstreifen: Er hat einen "Don Giovanni-Komplex". So weit die Ausgangsposition von Erwin Riess' gleichnamigem Bühnenstück über zwei konträre Wahnbilder von Männlichkeit, das bei den Wiener Festwochen kommenden Dienstag Premiere hat.

Olga Neuwirth war als Performerin eingeladen worden, um dazu live Theatermusik zu machen. Dann wurde jedoch kolportiert, sie schreibe eine Oper: "Plötzlich hat man doch wieder eine Partitur von mir verlangt." Für die Komponistin ein Déjà-vu-Erlebnis, zumal die Salzburger Festspiele zunächst ein Projekt über denselben Stoff mit Elfriede Jelinek in Auftrag gegeben und dann die Entwürfe dazu über Jahre hinweg immer wieder abgelehnt hatten - und zugleich Anlass, um ihre Aufgabe auf ungewohnte Weise zu erfüllen:

Während des Theaterstücks sitzt sie auf der Bühne und schreibt in einer "Parallel-Klang-Aktion" die Ouvertüre zu Mozarts Don Giovanni ab, die Kratzgeräusche werden verstärkt. "Ich musste für mich einen Weg finden, ganz konsequent zu sein. Ich nehme dem Klang den Don-Juanismus, die Sinnlichkeit, die Verführung weg. Da ist aber keine Verweigerung um der Verweigerung willen, sondern der Akt des Schreibens steht im Vordergrund."

Was als bloße Provokation empfunden werden könnte, beruht dabei auf durchaus ernst gemeinten Überlegungen, von der jahrhundertelangen Tradition des Abschreibens von Musik als mnemotechnisches Verfahren (Neuwirth: "Dabei lernt man auch sehr viel.") bis zur regressiven Seite der reinen Wiederholung: "Neue Impulse werden durch solche ewigen Rückbesinnungen und Reproduktionen des Vergangenen vernichtet und das Immergleiche bestätigt."

Demgegenüber geht es Neuwirth um das "Auf-, An- und Abkratzen eines Mythos", um auf die ganz banalen künstlerischen Produktionsbedingungen aufmerksam zu machen, etwa die Langsamkeit des schöpferischen Prozesses: In den siebzig Minuten der Aufführung sind gerade einmal zwei Seiten zu schaffen. Deshalb wird auch das Schreiben gegen Ende immer emsiger und obsessiver, bis zum Ende werden seine Geräusche mithilfe einer Zuspiel-CD versiebenfacht.

"Es war mir wichtig, eine parallele Ebene zum Bühnengeschehen zu schaffen, ebenso wichtig, wie auf der Bühne zu sein und mit anderen gemeinsam etwas zu machen, statt immer unsichtbar im stillen Kämmerlein zu sitzen. Das Ergebnis soll aber auch Musik sein, so wie John Cage einst für eine Choreografie von Merce Cunningham auf einem Kaktus herumkratzte und diese Geräusche verstärkte."

Einmal schlüpft Olga Neuwirth dann auch in eine Mozart-Perücke, um die Figuren, die sich über die Handlung von Don Giovanni beschweren, auf den Librettisten Da Ponte zu verweisen und zu verkünden: "Ich komponiere nicht mehr." (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.6.2006)