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"...damit wir uns endlich verstehen": Biljana Srbljanovic

Zur Person

Biljana Srbljanovic, Jg. 1970, Schriftstellerin und Dramatikerin ("Supermarkt", "God Save America"), lebt in Belgrad

Foto: APA/Reiner Riedler

Was geht einer Autorin durch den Kopf, die jahrelang unter dem Milosevic-Regime gelebt und gelitten hat, wenn sie liest, wie Peter Handke auf die Vorwürfe seiner Kritiker reagiert ("Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen", 2.6.2006).

Ich weiß nicht, wie oft ich es wiederholen soll, Milosevic ist nicht als Präsident Serbiens gestorben, sondern als gestürzter Diktator, der, nachdem er den Wählerwillen des eigenen Volkes nicht anerkennen wollte, mit Gewalt von der Macht entfernt, nicht lange danach verhaftet und dem internationalen Gericht für Kriegsverbrechen ausgeliefert wurde. Milosevic ist so gestorben – als Häftling, als Mensch, dem wegen der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Prozess gemacht worden ist, und der in Serbien begraben ist, weil man irgendwo begraben werden muss, weil er nicht lange genug gelebt hat, um seine (ganz sichere) Verurteilung abzuwarten, und weil es so am einfachsten war.

Ein Freund von Milo sevi´c zu sein, bedeutet nicht ein Freund Serbiens zu sein, weil Milos evi´c nicht Serbien war. Er war ein Tyrann und das Böse meiner Nation.

Sein Begräbnis haben seine Kriegskameraden organisiert, Politiker und Journalisten, die in die Neunzigerjahre als einfache Apparatschiks des sterbenden kommunistischen Systems ohne irgendein persönliches Eigentum eingetreten sind, um aus den Kriegen als Dollarmillionäre hervorzutreten, und die ihr illegal verdientes Geld nicht einmal zu verbergen suchen.

2. Spalte

Ihre Kinder studieren in Schweizer Schulen, auf Universitäten weltweit, wo ein Schuljahr mehr kostet, als zehn Jahresgehälter eines Spitzenarztes in Serbien, ihre Frauen kaufen in den teuersten und vulgärsten Shoppingzentren rund um den Globus ein und rühmen sich noch damit, das Begräbnis von Milosevic haben die Neureichen und die Helden der bunten Illustrierten organisiert – das ist die hübsche Gesellschaft, in die sich Handke verirrt hatte.

Am Begräbnis teilgenommen haben die Reste eines brutalen Regimes, Kriegsgewinnler und Kriegshetzer, russische stalinistische Generäle, Protagonistern einer für zahllose Verbrechen verantwortlichen Halbwelt, die der 3. Spalte Balkan mit Müh und Not im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts überlebt hat, und die keine Vertreter irgendeines politischen oder ideologischen Gedankens sind – sondern einfach Diebe, Halsabschneider, Leichenplünderer, Schmuggler von Zigaretten, Benzin und Erdgas, Mafiosi, die den Krieg nur um des eigenen, materiellen Vorteils willen organisierten.

Am Begräbnis hat die Familie Milosevic nicht teilgenommen, die lebt luxuriös in Moskau, und Interpol fahndet nach ihr nicht wegen Kriegsverbrechen, sondern wegen Raubs, wegen Kriegsprofits, der nach seriösen Schätzungen mehrere Milliarden Euro beträgt. Handke hat schon recht: Milosevics Witwe, Mira 4. Spalte Markovi´c, ist keine Lady Macbeth, sie ist eine ambitiöse Provinzlerin, ein Flüchtling vor der internationalen Gerechtigkeit, die das gestohlene Diebesgut, von allen Gesetzen geschützt, in Putins Russland verprasst und dabei dem eigenen Volk ins Gesicht lacht.

Ich weiß nicht, wie oft ich es wiederholen soll: Wenn es um Serbien und Jugoslawien geht, so sind nicht die Diebe und die Mörder die legitimen Vertreter unseres Volkes, im Gegenteil, sie haben den Namen der Nation gekidnappt, die Idee des Staates missbraucht, sie haben sich hinter der Fahne versteckt und, derart verborgen, jahrelang feige gestohlen und gemordet – ausschließlich aus dem Motiv, sich persönlich zu bereichern.

Wenn wir von Verbrechen, Vergewaltigungen, Massakern, (im Plural, so wie Handke darauf besteht), reden wollen, so werden wir die Leichen nicht aufgrund ihrer nationalen Identität bewerten, das wäre eine Schande, das wäre nicht human, ein toter Mensch ist ein toter Mensch, es gibt nichts Schlimmeres als die Ausrede, "Die habe zuerst uns, danach haben wir sie".

Wenn wir über Kravica, Bratunac, Potocari und Srebrenica reden wollen, über all die furchtbaren Massaker im Laufe von vier Kriegsjahren, dann lasst uns die Häupter senken und uns vor den Toten verneigen, nicht die Leichen beschauen und sie je nach Nationalität und DNK zählen.

Wenn wir über die bosnischen Flüchtlinge in Serbien, dem Serbien unter Milo sevi´c, reden wollen und Handke behauptet, dass es diese mit offenen Armen empfangen habe, 2. Spalte so ist das einfach nicht wahr. Moslems sind gekidnappt und ermordet worden mitten in Serbien unter dem Kommando Milo sevi´cs, seiner Armee und seiner Polizei. Erinnert euch an Strbac, als aus einem Eisenbahnzug auf einer regulären Linie irgendwo mitten auf der Strecke an die dreißig Menschen moslemischer Herkunft herausgeholt wurden, deren Spur sich seither verliert. Und wenn wir über das Wer-zuerst-wen reden wollen, so gab es zuerst Strbac, danach Kravica, zuerst verschwanden Serben moslemischer Herkunft am eigentlichen Anfang des Krieges.

Ich schäme mich, so chronologisch Morde und Verbrechen aufzuzählen, ich schäme mich dieses Kalenders, ich habe den Eindruck, als relativierte ich gewaltsamen Tod, als wollte ich Ordnung in diese furchtbare Unordnung bringen, als sei ich damit einverstanden!

3. Spalte

Wenn wir aber schon von den Flüchtlingen reden: Milosevics Serbien ließ sie leben wie die Hunde, in kollektiven Zentren, in denen es keinen Strom gab, denn der serbische Strom wurde für die Heizung der Schwimmbecken im Familienhaus des Söhnchens von Milosevic benützt, für Lightshows in seiner Diskothek, der größten auf dem Balkan, für die Erhaltung seines Bambiland, eines eigens für die Milosevics errichteten Vergnügungsparks nach dem Vorbild von Disneyland.

ch banalisiere, aber nicht zu sehr, denn ich reihe die Dinge nur buchstäblich auf, damit wir uns endlich verstehen, damit auch diejenigen, die sich in der neueren Geschichte des Balkan verwirren ließen, begreifen, wer der Mann war, an dessen Begräbnis man auf gar keinen Fall hätte teilnehmen dürfen.

Es ist in Serbien ja keine einfache Sache, auf irgendjemandes Begräbnis zu gehen. Zu einer Bestattung kommt man nicht als Tourist oder als Neugieriger, auf eine Beerdigung kommt man aus Verehrung für den Verstorbenen, man kann nicht zu einer Trauerfeier kommen, "um zu sehen" oder sich "umzuhorchen", man darf nicht aus intellektuellem Snobismus kommen. Das wusste Handke nicht, denn Handke versteht Serbien eigentlich überhaupt nicht, er kann die Sprache nicht, er kennt die Sitten nicht, er hat keine Ahnung von der Wirklichkeit, er weiß nicht, was es bedeutet, mit dem Stempel der in deinem Namen begangenen 4. Spalte Verbrechen zu leben. Er weiß nicht, was es heißt, gegen die Scham anzukämpfen . . .

Peter Handkes Erscheinen beim Begräbnis in Serbien heißen nur Kriegshetzer, die überlebt haben, laut willkommen, jene, die glauben, er habe mutig dafür gekämpft, zu beweisen, dass die Serben keine Verbrechen begangen haben. Mit ihm berühmen sich nur diejenigen, die seine Literatur nicht kennen, die keine Ahnung haben, wer er ist, und die das auch überhaupt nicht interessiert. Von Handkes Teilnahme am Begräbnis von Milosevic haben sie aus ausländischen Medien erfahren, denn die einheimischen, die diesen Zirkus verfolgten, haben nicht einmal bemerkt, dass er da war. Handkes Literatur kennen und lieben in Serbien nur diejenigen, die mit den Verbrechen abrechnen und ihren Kindern die geschichtliche Wahrheit beibringen möchten, die sich mit der eigenen Scham und mit dem Joch ihres Gewissens konfrontieren müssen.

Genug von den Freunden Milosevics als Freunden Serbiens. Zum hundertsten Mal sage ich und will es wiederholen, bis ich wahnsinnig werde: Milosevic ist nicht Serbien, weder metaphorisch noch buchstäblich. Er ist der Schandfleck auf dem Gewissen meines Landes, der für ewig bleiben wird. Übersetzung: Andrej Ivanji (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.6.2006)