Vilnius/Moskau - Zumindest einer hatte die Korruptionsskandale im südlichsten Baltenstaat Litauen bisher immer überlebt: der heute 72-jährige Patriarch der litauischen Politik, Sozialistenchef Algirdas Brazauskas. Nach seiner Karriere in der KP hatte er Anfang der 1990er-Jahre aus der kommunistischen eine sozialdemokratische Partei gemacht, war Parlamentspräsident geworden, danach Präsident und 2001 Premier. Zwar musste seine Mitte-links-Koalition bei den Wahlen 2004 starke Verluste hinnehmen, Brazauskas leitete aber auch forthin die Koalition, in die er allerdings den Wahlsieger Viktor Uspaskich einbinden musste. Dieser, ein russischstämmiger Multimillionär, hatte mit seiner neuen populistischen Arbeitspartei auf Anhieb knapp 30 Prozent eingefahren.

Flucht in die Heimat

Vor wenigen Tagen verkündete Brazauskas nun das Ende der Koalition und seinen Rücktritt. Ausschlaggebend war der Austritt der Arbeitspartei. Sie reagierte damit auf Anschuldigungen, mit dem russischen Geheimdienst zu kooperieren und von dort sowie von russischen Magnaten Gelder zu erhalten. Schon vor zwei Jahren war dem damaligen Wirtschaftsminister Uspaskich Korruption bei der Verteilung von EU-Geldern vorgeworfen worden.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte zuletzt in dieser Sache, der Geheimdienst wegen der Russland-Connection. Uspaskich flüchtete Mitte Mai in seine nordrussische Heimat Archangelsk. Ob er von dort zurückkommt, steht für den 47-Jährigen, der sein Vermögen anfangs angeblich im Gasgeschäft mit der russischen Gasprom und später in der Lebensmittelerzeugung gemacht hat, in den Sternen.

Nichts nämlich schadet der Reputation in Litauen mehr als eine mutmaßliche Verbindung mit dem russischen Geheimdienst. Über diesen Vorwurf war schon Rolandas Paksas gestolpert, gleich nachdem er 2003 zum Präsidenten gewählt worden war.

Nutznießer der Krise dürften die Konservativen sein, allen voran der "Vaterlandsbund" rund um Andrjus Kubiljus. Vehement warnt er vor dem russischen Regime und dessen Expansion. Der jetzt zurückgetretenen Regierung wirft er außerdem Versagen bei der ursprünglich für 2007 geplanten Einführung des Euro vor, die verschoben werden musste. (sed, DER STANDARD, Printausgabe 3./4./5. 6. 2006)