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Russlands oberster Drogenfahnder Viktor Tscherkessow.

Foto: EPA

Acht von zehn Heroinabhängigen weltweit verwenden "Stoff" aus Afghanistan. Alle Versuche, Opiumbauern umzuschulen, seien gescheitert, kritisiert Viktor Tscherkessow, Russlands oberster Drogenfahnder, im Gespräch* mit Michael Simoner.

STANDARD: Vier Millionen Menschen in Russland sind nach offiziellen Angaben abhängig von illegalen Suchtmittlen. Ist das Drogenproblem außer Kontrolle?

Tscherkessow: Unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es neue Grenzen, die aber nur auf der Landkarte existierten. Es gab kaum Kontrollen, die dem Drogenhandel Einhalt bieten hätten können. Außerdem haben soziale und wirtschaftliche Bedingungen die Situation beeinflusst. Viele Menschen hatten keine regelmäßige Arbeit, Unzufriedenheit machte sich breit, viele wurden depressiv und griffen zu plötzlich verfügbaren Drogen.

STANDARD: Woher kam die Drogenflut?

Tscherkessow: Mitte der 90er-Jahre stieg in Afghanistan die Produktion von Opium sprunghaft an. Entlang der Schmuggelrouten bildeten sich schnell Absatzmärkte. Auf diesen unangenehme Entwicklung waren weder das Land noch die Bevölkerung vorbereitet. Es gab keine entsprechende Aufklärung, insbesondere bei jungen Menschen. Die Zahl der Drogenkonsumenten und Aufgriffe explodierte. 1996 wurden in Russland sechs Kilogramm Heroin sichergestellt, im Vorjahr waren es 4,7 Tonnen. Wir brauchen energische Gegenmaßnahmen.

STANDARD: Wie hoch ist in Russland die Höchststrafe für Drogendelikte?

Tscherkessow: Die russische Gesetzgebung ist streng, die Maximalstrafe beträgt zwanzig Jahre Gefängnis.

STANDARD: Für Dealer und Konsumenten?

Tscherkessow: Für organisierte Drogenhändler. Heroin, Kokain und synthetische Suchtmittel werden in Russland nicht produziert. Die wichtigste Aufgabe ist deshalb die Bekämpfung des Drogenhandels. Wir forcieren die Abschöpfung krimineller Gewinne. Im Vorjahr hatten wir 1500 drogenbezogene Geldwäschefälle, in den ersten fünf Monaten des heurigen Jahres waren es bereits 1000. Man darf nicht vergessen, dass mit Drogengeldern auch Korruption und Terrorismus finanziert werden.

STANDARD: Die Internationale Afghanistan-Schutztruppe soll auch den Opiumanbau reduzieren. Gelingt das?

Tscherkessow: Ein kompliziertes Thema, weil mehrere Länder beteiligt sind. Für die Drogenbekämpfung ist Großbritannien formell zuständig und dieses Land macht viel im Bereich der Schulung von Polizisten und Zollbeamten. Es gibt auch Landwirtschaftsprogramme, die Bauern vom Mohn- zum Getreideanbau bewegen sollen. Aber diese Programme sind nicht sehr erfolgreich. Eine Verbesserung der Situation ist nicht festzustellen. Die Staatengemeinschaft hat auch keinen starken Partner in Afghanistan, weil die Regierung die Situation außerhalb von Kabul nicht im Griff hat. Lokale Beamte sind oft ehemalige Soldaten. Wenn man diesen an den Kragen ginge, könnten neuerlich Kämpfe ausgelöst werden.

STANDARD: Also kann man nichts machen?

Tscherkessow: Das Dilemma ist, dass die Wirtschaft Afghanistans derzeit auf Opium aufgebaut ist. Obwohl die Bauern ja am wenigsten daran verdienen. Ohne wirtschaftliche Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft wird sich aber nichts ändern. Nur polizeiliche und administrative Maßnahmen reichen nicht.

STANDARD: Das "Senlis Council", eine europäische Vereinigung von Sicherheits- und Drogenexperten hat folgende Alternative: einen Teil des Opiumanbaus für medizinische Zwecke legalisieren.

Tscherkessow: Das wäre meiner Meinung nach sehr gefährlich und schädlich. Kein Land unterstützt diesen Vorschlag.

STANDARD: Auch die Zahl von HIV-Infektionen ist in Russland explodiert. Kritiker sagen, dass eine zu repressive Drogenpolitik Schuld sei. Es gebe zu wenig Hilfe, wie Spritzentausch und Substitutionsbehandlung.

Tscherkessow: Es stimmt, dass es besorgniserregend viele HIV-Infektionen und Aids-Erkrankungen gibt, bereits 350.000 Menschen in Russland sind HIV-positiv. Es stimmt aber nicht, dass es in Russland keine Behandlungsmöglichkeiten für Drogenabhängige gibt. Es gibt ein sehr gutes System von Kliniken und die Behandlung ist kostenlos. Leider ist der Bedarf größer, als die Kapazitäten. Man muss aber auch berücksichtigen, dass viele Abhängige asoziale Menschen sind, die eine medizinische Hilfe vom Staat nicht annehmen.

STANDARD: Werden bei der Konfernez in Wien neue Polizeikooperationen beschlossen?

Tscherkessow: Bei Konferenzen dieser Art sind keine offiziellen Verträge vorgesehen. Wir tauschen Meinungen und Informationen aus. Russland hat aber schon mit vielen Ländern Abkommen. Standard: Was empfehlen Sie jungen Menschen, um sie von Drogen fern zu halten. Tscherkessow: Ich weiß, das klingt wenig originell, aber ich sage: Entscheidet euch für das echte Leben. (simo, DER STANDARD – Printausgabe, 2. Juni 2006)