Stadtgeschichten von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war vorgestern. Aber P. hatte mich vorgewarnt. Sowas würde irgendwann passieren. Weil es ihm auch immer wieder widerfahre. Das beste, hatte P. gesagt und mich in die Schulter geboxt, wäre, wenn ich dann einfach freundlich nicken und „ja“ und „danke“ und „das freut mich wirklich sehr“ sagen würde. Weil alles andere sinnlos sei.

Ihm selbst, hatte mir P. gesagt, sei es am Anfang auch auf die Nerven gegangen. Und er habe versucht, den Mann an den Kontrollmonitoren der Tiefgarage davon zu überzeugen, dass er nicht ich sei: Er könne nichts dafür, was ich oder mein Gäste in der Sendung brabbelten. Oder was die Anrufer von sich gäben. Oder was Thema sei. Das, sagt P. habe er ein paar Wochen lang dem ihn fast täglich darauf ansprechenden, lobenden oder rüffelnden Schrankenwärter gesagt, sei eine völlig andere Baustelle. Habe mit ihm nix zu tun. Ehrlich: Er sei der Andere. Der aus den Nachrichten.

Resignation

Irgendwann, sagte P. habe er dann eingesehen, dass es sinnlos war, dagegen zu reden. Seither sei er eben ich. Sein Trost, sagte P. sei, dass er wisse, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis es mir umgekehrt gehen würde: Für den Fall von Schelte solle ich die Glatze hinhalten – Lob, Geschenke und Handynummern netter Damen müsse ich weitergeben. Ich habe gelacht. Damals.

Vorgestern, in der U-Bahn-Station, war es dann soweit: An gelegentliche, fragende „ich kenn dich doch irgendwoher“-Blicke hab ich mich eh schon gewöhnt. Ans angesprochen werden aber nicht. Er kenne mich, sagte der Mann. Aus dem Fernsehen. Ich lächelte unverbindlich und schüttelte die angebotene Hand. Er setzte fort: Wie ich da neulich mit der Plastikplane herumgesegelt sei, sei echt super gewesen – trotzdem sähe meine Kollegin besser aus.

ATV-Puls

Ich sagte das Sprücherl von der Verwechslung. Aber dass M., die Kollegin, wirklich besser aussähe. Der Mann fragte: „M? Seit wann moderiert die Newton?“ Dann zögerte er kurz: „Du bist doch der aus Newton?“ Ich verneinte. „Aber du bist im Fernsehen.“ Ja, aber ... „na sicher, hundertpro, du machst Newton. Und ich treff´ dich live in der U-Bahn. Pfo.“ Äh, ehrlich: Das bin nicht ich, das ist wer anderer. „Wirklich? Ah, genau: Du bist der P., der von Pro7“. Auch nicht, ich ... „Wart, lass mich raten – ah, ATV-Puls? Nein, der schaut ganz anders aus. Kein Zweifel: Du bist der vom ORF. Von Newton.“ Dann, verschwörerisch, „aber du willst inkognito bleiben, gell?“

Ich seufzte, wiederholte mein Sprücherl und stieg ein. Der Mann folgte mir, stellte sich vor mich und starrte mich aus etwa 15 Zentimetern an, als wäre ich ein Weltwunder: „Verarsch mich nicht, ich hab dich durchschaut: Du bist ganz bestimmt der Newton-Typ. Nur deinen Namen hab ich mir nicht gemerkt.“

Namensuche

Blöderweise wusste ich den auch nicht. Langsam wurde der Mann grantig: Wieso ich mich über ihn lustig mache? Er habe mir doch nichts getan. Er zahle sogar ORF-Gebühren. Möge mich und meine Arbeit. Meine Arroganz sei echt unerträglich. Ich bot ihm an, mich auszuweisen. „Vergiss es – vielleicht arbeitest du ja unter einem Künstlernamen. Oder hast einen gefälschten Ausweis. Um unerkannt zu bleiben. Nicht mit mir, Freundchen!“ Er redete sich langsam in Wut.

Am Schwedenplatz wollte ich aussteigen. Der Mann packte mich, als ich zur Tür gehen wollte, am Arm. Er war jetzt echt sauer: „So nicht. Gib endlich zu, dass du der aus Newton bist.“ Er rieb auf: „Sonst fängst du eine.“ Ich gab mich geschlagen. Und gestand, jemand zu sein, dessen Namen ich nicht einmal kenne. Der Mann in der U-Bahn strahlte. Sein Zorn war wie weggeblasen. Er kramte in seiner Tasche und hielt mir ein Blatt Papier hin: „Gibst mir ein Autogramm?“ Ich nahm seinen Stift – zum Glück ein dickschmierender Edding- oder Filzstift - und kritzelte irgendwas unterschriftartiges hin.

Der Zug fuhr in die Station ein, ich durfte aussteigen. Ich solle, rief mir mein neuer Freund nach, meine hübsche Kollegin grüßen. Und in Zukunft nicht mehr so zickig tun – damit käme ich nämlich nicht durch. Ich dachte an P.s Worte. Dann lächelte ich freundlich, winkte, nickte und sagte, das einzige, was der Mann hören wollte: „Ja“ und „Danke“.