Als ZuschauerIn erlebt man die Hürden, die sich dem Mädchen stellen, hautnah mit: Zuerst muss es mehr als andere für sein Ticket zahlen, dann sucht es eine Lücke, durch die es schlüpfen kann.
Foto: Polyfilm
Wien - Der iranische Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad hat sich noch nicht entschieden, ob er die Fußball-WM in Deutschland besuchen wird. Käme er, würde er das Stadion mit vielen Frauen teilen müssen - anders als in seiner Heimat, wo das sportliche Live-Erlebnis Männern vorbehalten ist. Frauen sollen nicht sehen, wie Männer angesichts verpasster Torchancen unheilige Flüche ausstoßen. So lautet zumindest die offizielle Begründung der konservativen Sittenwächter.

Jafar Panahi, der politisch unverblümteste Regisseur des iranischen Kinos, stellt diese Begrenzung von öffentlicher Freiheit in den Mittelpunkt seines neuen Films "Offside". Es ist der Tag des entscheidenden Spiels. Iran muss gegen Bahrain gewinnen, um in Deutschland dabei zu sein. Die Stimmung im Bus gen Stadion ist ausgelassen. Stiller als die anderen wirkt nur ein Fan mit Baseballkappe - ein als Junge getarntes Mädchen, das zum ersten Mal versucht, sich an den Sicherheitskontrollen vorbeizustehlen.

Die Lücken suchen

Seine Perspektive ist es im weiteren Verlauf, an die sich der Film hält. Panahi hat nicht nur an Realschauplätzen gefilmt, sondern tatsächlich während des Spiels. Die Geschichte eines Täuschungsversuch wird also von einem dokumentarischen Hintergrundrauschen begleitet. Als ZuschauerIn erlebt man die Hürden, die sich dem Mädchen stellen, hautnah mit: Zuerst muss es mehr als andere für sein Ticket zahlen, dann sucht es eine Lücke, durch die es schlüpfen kann. Leider misslingt die Aktion, und die Fußballbegeisterte wird in eine abgesperrte Zone gebracht, wo sie gemeinsam mit anderen jungen Frauen von Soldaten bewacht wird.

Diskrepanzen zwischen öffentlichen und privaten Räumen bestimmten bereits in Panahis früheren Filmen, in "Der Kreis" und "Crimson Gold", den Handlungsraum der Personen. Aber das Abseits, in dem die Protagonistinnen von Offside stehen, ist noch paradoxer: In unmittelbarer Nähe zum Wunschziel können sie doch nicht auf den Rasen sehen, aber die Begeisterung spüren. Parallel zur Dramatik des Spielverlaufs entwickelt sich so ein immer wieder auch hochkomisches Tauziehen zwischen den Mädchen und ihren Bewachern. Ein Soldat wird kurzerhand zum Kommentator umfunktionalisiert, ein Gang auf die Männertoilette - da ja eine für Frauen fehlt - zum Spießrutenlauf, bei dem selbst Klosprüche noch ein Hindernis darstellen.

Allianzen scheinen möglich

Bei aller Verdichtung des Geschehens zielt "Offside" über die Behandlung des Stadionbesuchsverbots für Frauen noch weit hinaus. In den Dialogen zwischen den Soldaten und den Mädchen werden soziale Gefälle deutlich, die auf die tiefe Spaltung der postrevolutionären Gesellschaft verweisen. Die Burschen vollziehen ihren Dienst beim Militär nur mit wenig Moral. Den kecken Mädchen aus dem wohlhabenden Teheran sind sie rhetorisch kaum gewachsen. Nicht zuletzt deshalb werden die Grenzen zwischen den Parteien phasenweise aufgehoben, und sogar Allianzen scheinen möglich.

In einem Interview hat Panahi bemerkt, dass Iran gewinnen musste, damit er den Film überhaupt fertig stellen konnte. Eine Niederlage hätte "Offside" seines Endes beraubt. Sieht man den Film, weiß man warum: Die Busfahrt, die die Mädchen zur Sittenbehörde bringen soll, verebbt in den Straßen Teherans, im Freudentaumel, wo alle rigiden Vorschriften kurz aufgehoben sind. Ab Freitag im Kino (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 1.6. 2006)