Europa sucht die absolut sichere Verschlüsselung von Daten mittels Quantenkryptografie.

Foto: DER STANDARD/Cuhaj
Ist das Jahrtausende alte kryptografische Spiel zu Ende, weil die Quanten eine Entschlüsselung unmöglich machen? Oder finden Analytiker doch einen Weg aus der Sackgasse der Unentscheidbarkeit? Zumindest will Europa nun die absolut sichere Datenübertragung installieren. Österreich forscht mit.

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Die Kunst der Verschlüsselung und Entschlüsselung von Botschaften hat etwas von einem intellektuellen Match, einem Spiel, in dem seit Jahrtausenden Tüftler und Genies gegeneinander antreten. Wie beim Schach geht es darum, die möglichen Züge des Gegners zu erraten und schon vorher zu vereiteln.

Doch ganz anders als beim königlichen Brettspiel ändern sich die Regeln ständig, sind alle Mittel, nicht bloß die kodifizierten, recht, um den Gegner auszutricksen. Und ganz anders als beim Schach geht es auch nicht um die Ehre, der beste Stratege zu sein, sondern meistens um ganz handfeste, perfekt asymmetrische Interessen: Der eine hat etwas zu verbergen, der andere will genau das wissen.

Kryptografie gegen Kryptoanalyse; das Verfassen gegen das Analysieren von geheimen Mitteilungen; Encoding versus Decoding: ein Spiel, das mit immer raffinierteren technischen Mitteln bis zu etwas getrieben wird, was man - immer zeitgenössisch - als "Perfektion" bezeichnet. Aber eben nur, bis eine Partei die nächste Stufe erklimmt und mit der aber nun wirklich unknackbaren Verschlüsselung aufwartet; oder die Gegenseite mit dem perfekten Dietrich genau diese Festung der Geheimhaltung aufsperrt.

Dreht sich diese Spirale immer weiter? Oder gibt es einen Punkt des Stillstands?

Die Binsenweisheit lautet, dass man niemals nie sagen soll. Was immer man für der Weisheit letzten Schluss gehalten hatte, stellte sich hinterher als Fleckerlteppich veralteter Gewissheiten heraus. Der Quantenphysiker Anton Zeilinger etwa warnt vor der Annahme, wir stünden kurz vor dem endgültigen Wissen, der Theorie von Allem.

Andererseits gibt es genau sie: die Quantenkryptografie, an deren Entwicklung die Avantgarde der Physiker entscheidenden Anteil hatte. Und gerade aus ihren Reihen kommt folgende Schätzung: Um eine durch Quantentechnik verschlüsselte Botschaft zu entziffern, bräuchten alle Computer der Erde länger, als die Welt existiert. Auf Deutsch: Die knacken sie nie und nimmer.

Mehr noch: Die Eigenart dieser Vorgangsweise besteht darin, dass der Schlüssel zwischen Sender und Empfänger sich erst in dem Moment offenbart, in dem er unwiderruflich verloren geht. Genauer: Das Photon, das Träger der Entschlüsselung ist, wird durch seine Messung zerstört. Klingt das ein wenig nach der paradoxen Schrödinger'schen Katze? "Ein wenig schon", sagt Quantentechnologe Christian Monyk (siehe nebenstehendes Interview), doch Genaueres sei durch grobe Vergleiche nicht zu ermessen. Vielmehr müsse man sich in der Quantentheorie gut auskennen.

Nicht zu knacken

Eine gewisse Abkürzung ist das Buch des englischen Wissenschaftsautors Simon Singh über Geheime Botschaften. Ihm zufolge bietet die Quantenkryptografie "den sicheren Austausch einer Zufallsfolge aus Bits, die dann als Grundlage für ein One time pad dienen kann." Das Pad wiederum, die "einzige Form der Verschlüsselung, die nicht zu knacken ist, . . . beruht auf einem Zufallsschlüssel, der dieselbe Länge hat wie die Mitteilung selbst. Jeder Schlüssel darf nur ein einziges Mal verwendet werden."

So weit die Theorie. Praktisch stehen Individuen, Firmen und Regierungen (und letztlich auch kriminelle Organisationen) vor der Herausforderung, sich diese Datenübertragung nutzbar zu machen. Die EU hat vor zwei Jahren im Rahmen des Sechsten Rahmenprogramms für Forschung einem Projekt den Segen gegeben, das sich die sichere, auf Quantenkryptografie basierende Kommunikation zum Ziel gesetzt hat. Kurz SECOQC genannt, soll es die Ver- und Entschlüsselung zur Marktreife führen.

In Österreich arbeiten die Firmen Aventec, Siemens und Steinbeis und die Uni Klagenfurt an Teilprojekten. Die Abteilung Information Technologies der ARC Seibersdorf und die Quantenexperimentatoren unter Zeilinger an der Uni Wien koordinieren die Arbeit.

Zu den Aufgaben von SECOQC zählt die Entwicklung von Übertragungsstandards und einer Infrastruktur. Deren Sicherheit wird überprüft, so ähnlich, wie Autohersteller ihre Türschlösser und -codes von Profi-Knackern testen lassen. Ein Netzwerk soll entwickelt werden, das sicherste Kommunikation in alle Teile des Kontinents erlauben wird - eine Herausforderung für die Forscher, aber auch für die Datenschützer, die sich dafür interessieren werden, unter wessen Kontrolle die nicht mehr kontrollierbare Information fließen wird.

So verlagert sich das kryptografische Spiel vielleicht von Schach zu Alice im Wunderland: Es wird darauf ankommen, wer die Macht über die Schlüssel hat. (DER STANDARD, Printausgabe 31.5.2006)