Das Viertel des Kommissars Leo Martín als Metapher für ein Land, in dem eine Stimmung der Ausweglosigkeit herrscht: Kuba in den Krimis von Lorenzo Lunar Cardedo.

Foto: Haymon
Wien - "Es ist ein endloser Kampf", steht hier als Schlüsselsatz über das Leben - nicht nur, aber vor allem in Kuba geschrieben. Die Entscheidung, ob der Satz pathetisch oder lakonisch gelesen werden will, fällt nach ein paar Seiten mit Lorenzo Lunar Cardedo nicht schwer: Die hohle Phrase ist diesem Mann fremd.

Der 48-jährige Autor aus der kubanischen Provinzstadt Santa Clara, der in den letzten Wochen als Writer in Residence in Innsbruck weilte und heute in Wien eine kleine Lesereise beschließt, hat mit dem Roman Ein Bolero für den Komissar einen kubanischen Ableger klassischer Krimiliteratur Marke Chandler und Erben geschrieben. Sprich: Das Gute kann schlecht siegen, wenn angesichts der Verhältnisse kaum Gutes existiert. Und: Die Helden haben auch schon mal besser ausgesehen.

Kommissar Leo Martín erfährt regelmäßig als letzter von kriminellen Machenschaften, weil er nicht an die geheimen Informationskanäle angeschlossen ist, über die sich in seinem Viertel Nachrichten schneller verbreiten als übers Internet. "Das Viertel ist ein Ungeheuer", sagt Cardedo. "Es funktioniert nach seinen eigenen Gesetzen. Sie sind nicht schriftlich festgehalten, sie liegen vielmehr in der Moral und der Ethik dieses Ortes."

Ein Bolero für den Kommissar ist denn auch weniger des Mordfalles wegen, den es in dem Buch auch gibt, lesenswert als aufgrund seiner Schilderungen der kubanischen Realität. Kommissar Leos Viertel steht hier als "Metapher für mein Land" (Cardedo), in dem eine Stimmung der Ausweglosigkeit herrscht, die mit der aus Weinviertel-Krimis locker mithält - nur dass statt Rotwein gleich dem Schnaps zugesprochen wird. Cardedos Roman lässt sich als ungeschöntes Porträt Kubas jenseits touristischer Trampelpfade an. Während der Lektüre aber stolpert man immer wieder über doppelte Böden, die einem harten, realistischen Krimi gar nicht ähnlich sehen.

"Die Fiktion arbeitet mit Elementen, die letztlich dazu dienen, die Realität zu entkräften, dennoch ist sie die Basis der Kriminalromane", erklärt der Autor seinen Ansatz. "Das klingt widersprüchlich, und womöglich ist es das auch." Kein Widerspruch und auch kein Zufall ist, dass der Kommissar und sein Schöpfer einige biografische Daten miteinander teilen: "Leo ist das, was ich hätte sein können, wenn ich statt eines Studiums den Militärdienst absolviert hätte, im Alter von 18 Jahren im Angolakrieg gewesen wäre und, nachdem ich dann glücklicherweise lebend zurückgekehrt wäre, keine andere Möglichkeit gehabt hätte, als Polizist zu werden."

Lorenzo Lunar Cardedo aber hat nach einer Reihe Gelegenheitsjobs die Schriftstellerlaufbahn eingeschlagen und gilt ob seiner Texte über marginale Existenzen als Erneuerer des lateinamerikanischen Krimis. Er folgt scheinbar den strengen Regeln des Genres, spielt aber auch gern mit ihnen.

In Kürze erscheint der nächste Leo-Martín-Roman - in einem spanischen Verlag, denn in Kuba gibt es trotz mancher Lockerung immer noch Zensur und keinen freien Buchmarkt. Aber: "Es ist ein Land der Leser. Die Neuerscheinungen werden von einem zum nächsten weitergereicht, der Gebrauchtbuchhandel ist gigantisch. Das ist eine große Befriedigung für uns, die wir schreiben." (Sebastian Fasthuber/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 5. 2006)