KONTRA
Dichtung und Wahrheit
Von Adelheid Wölfl

Die Juroren erwiesen dem Dichter einen Bärendienst. "Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er rücksichtlos gegen die veröffentlichte Meinung und deren Rituale", lautete die eindeutig politische Begründung der Heine-Preis-Jury. Belohnt werden sollte also nicht das Werk des Dichters, sondern seine Haltung. Nun ist von der Auseinandersetzung zwischen Handke und "der veröffentlichten Meinung" vor allem seine Position zur serbischen Politik in den 1990er-Jahren bekannt, der er einiges abgewinnen konnte. Zuletzt war Handke auf dem Begräbnis des Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic zu sehen, auf dem er eine kurze Rede hielt. Soll sein.

Es geht nicht darum, dass Handke den Preis nicht bekommen soll, weil er sich in die Nähe Milosevics begeben hat, sondern weil er dafür indirekt gelobt wurde. Die Jury tat so, als gehe es um einen Kampf des Dichters für die "Wahrheit" gegen eine übermächtige Meinung, so als wäre er ein Held, der endlich aufdeckt, was sich niemand zu sagen traue. Das ist gefährlich. Denn zum Krieg in Jugoslawien gibt es jenseits von subjektiver "Wahrheit" und "Meinung" Fakten, die auch der Jury bekannt sein müssten - etwa, dass das serbische Regime für die Ermordung von 7800 Bosniaken in Srebrenica verantwortlich war.

Handkes Parteilichkeit kann wohl auch vor dem Hintergrund antiserbischer Ressentiments gesehen werden, die noch immer existieren. Es gäbe tatsächlich etwas zu verteidigen, was Handke allerdings nicht tut: jene Serben, die ob der Politik des Diktators verzweifelten, ihn im Jahr 2000 aus dem Amt jagten und ans Kriegsverbrechertribunal auslieferten. Auch für dieses andere Serbien ist das Signal der Jury eine Verhöhnung.

KONTRA
Der eigene Blick

Von Cornelia Niedermeier

Peter Handke wird den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf nun doch nicht erhalten. Zwar hat eine zwölfköpfige Jury sich für die Verleihung des Literaturpreises an den Dichter ausgesprochen, doch der Rat der Stadt entschied dagegen. Die Begründung ist vage: "Wir sind der Auffassung, dass Handke sich mit seinem öffentlichen Verhalten einem autoritären, verbrecherischen Regime angedient hat." Die Ungenauigkeit dieses Satzes spricht für die Fahrlässigkeit im öffentlichen Umgang mit Handkes umstrittenem Engagement einer "Gerechtigkeit für Serbien".

Dieses Engagement widerspricht der Political Correctness. Also bedarf selbst die Ablehnung eines Preises, die Absetzung eines Stückes, keiner profunden Auseinandersetzung mit Handkes Denken, Handkes Werk. Flugs wird entschieden, im stolzen Bewusstsein der eigenen moralischen Integrität. Niemand hinterfragt also die Begründung, welchem Regime sich Handke angedient haben soll. Jenem des Slobodan Milosevic? Wann? Bei dessen Beerdigung? Überflüssig zu erwähnen, dass in Serbien längst eine andere Regierung an der Macht ist. Angedient als was? Genau solche Vereinfachungen eines selbstgefälligen "Wir" sind es, die Peter Handke in seinem Eintreten für Serbien anprangert. Weder leugnet er die Massaker des Jugoslawienkrieges, noch billigt er sie, noch verteidigt er Milosevic.

Als Einzelner verteidigt er den Willen zum eigenen Blick gegen den entliehenen Massenblick der Medien. "Ich kenne die Wahrheit auch nicht", begründete er seine Anwesenheit bei Milosevics Grab. "Aber ich schaue. Ich begreife. Ich empfinde." Und er setzt sich der Häme aus. Als streitbarer Einzelner. Er mag in manchem irren. Doch sein streitbarer Irrtum ist allemal mutiger als der Konformismus jener, die ihn wohlfeil verurteilen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 5. 2006)