Rom/Madrid/Warschau - Die Rede von Papst Benedikt XVI. im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau hat in mehreren europäischen Ländern Kritik hervorgerufen. Vor allem führende Vertreter der italienischen Juden nahmen am Montag Anstoß an der Passage, das deutsche Volk sei damals von einer "Schar von Verbrechern (...) missbraucht" worden. Der Oberrabbiner von Rom, Riccardo Di Segni, nannte die päpstliche Ansprache "problematisch". Er sei "kaum überzeugt" von der Interpretation, als wäre das deutsche Volk "selbst Opfer gewesen und hätte nicht zu den Verfolgern gehört".

Die rechtsgerichtete spanische Zeitung El Mundo titelte: "Benedikt XVI. befreit das deutsche Volk von seiner Verantwortung für die Nazi-Verbrechen". Er habe den Deutschen "eine Art Absolution von ihrer kollektiven Verantwortung für die Nazi-Verbrechen" erteilt.

Benedikt XVI.: "Ich musste kommen."

Der Papst hatte laut dem vom Vatikan veröffentlichten Wortlaut am Sonntagabend unter anderem gesagt: "Ich musste kommen. Es war und ist eine Pflicht der Wahrheit, dem Recht derer gegenüber, die gelitten haben, eine Pflicht vor Gott, als Nachfolger von Johannes Paul II. und als Kind des deutschen Volkes hier zu stehen - als Sohn des Volkes, über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so dass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte."

Der polnische Chefrabbiner Michael Schudrich und der israelische Botschafter in Polen, David Peleg, zeigten sich dagegen beeindruckt vom Besuch des Papstes in Auschwitz-Birkenau. Schudrich sprach am Sonntagabend von einem "großen Augenblick im Prozess der Versöhnung zwischen beiden Religionen".

Schudrich war am Samstag in Warschau von einem Unbekannten angegriffen und leicht verletzt worden. Die Tat hatte offenbar einen antisemitischen Hintergrund. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.05.2006)