Eigentlich wollten wir am Millstättersee Geburtstag feiern. Aber weil einen Teich weiter GTI-Treffen war, beschlossen wir, mit hinzufahren. Mit J.s altem Peugeot.

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Es war am Freitag. Und natürlich ließe sich sagen, dass wir ja auch da waren. Eh klar. Aber wir hatten eine Ausrede: Unser Auto war etwa 20 Jahre alt. Und es machte nicht einmal den Versuch hip auszusehen. Außer einem etwas angegammelten „Skate or die“-Sticker, der neben dem Peugeot-Schriftzug am Kofferraumdeckel klebte, verfügte der Wagen über kein Spezifikum, das tiefergelegt-airgebrushten Autofreaks Respekt abverlangt hätte.

Foto: Thomas Rottenberg

J. drückte ständig auf die Autoreplaytaste des CD-Players. Und während vor hinter und neben uns Großraumdiscotechno-Ummpa-Ummpa-Ummpa aus Megabasskofferäumen wummerte und wir das Gefühl hatten, das Blech von J.s Peugeot müsse sich dazu nach innen beulen, hörten wir Yeah Yeah Yeahs, White Stripes - und Elton John. Ein seltsamer Mix, aber ein klares Abgrenzungssignal. Meinte J. Aber Gefahr, dazu zu gehören, bestand nicht: Die GTI-Meute nahm uns nicht wahr. Nicht als ihresgleichen.

Foto: Thomas Rottenberg

Wörthersee

Wir waren nämlich am Wörterhsee. Genauer: Eigentlich waren wir am Millstättersee. Weil J.s Freundin Geburtstag hatte Und erst als drei Tage vor dem Wochenende GTI-Meldungen über unsere Bildschirme zappelten, wurde uns klar, dass einen Teich weiter das große GTI-Treffen abgehalten wurde: Wenn wir schon in der Gegend waren, beschlossen wir (als und auf der Südautobahn dann der x-te Konvoi tiefergelegter Karrosserien mit Arschgeweih-Tattoo-Aufklebern am Heck überholte), würden wir uns das auch ansehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber wir schafften es nicht. Nicht ganz. Nicht ins Zentrum, nach Reifnitz hinein. „Ins Auge des Taifuns“, sagte A. einmal von der Rückbank des Peugeots aus. Aber das hätte nicht getroffen – schließlich nahm die Seitenschwellerschwadendichte, das Chromfelgenaufkommen und die Recaro-Rennsitz-Häufigkeit ab der Gorbach-Strecke (wir schafften etwa 0,8 G. Aber in den Tunnels wurden wir dann von einer Armada verwegen dreinblickender Schirmkappenbuben mit Fünfpunkgurt, mindestens 1,8 G und höchsten zwei Metern Abstand zueinander überholt – J. und ich wurden blass, aber A. und M., J.s Freundin, jauchzten, dass das Lachgas-Geknalle aus mächtig-maskulin oberschenkeldicken Auspüffen auf Frauen eine unwiderstehlich- animalisch Anziehungskraft habe) in indirekt proportionaler Potenz zur Restentfernung nach Reifnitz zu.

Dann, rund um den Wörthersee, war aber nur noch erhöhtes Schritttempo möglich: „Der geilste Stau der Welt“ stand auf der Heckscheibe des knallschwarzen Audis vor uns. Wunschkennzeichen: „Foxl 6“. Bei jeder Unebenheit musste der Knabe hinter dem Steuer und mit Vorstadtproloiro am Kopf schräg über die Straße steuern – sonst wäre sein Bolide aufgesessen. Zum Glück musste er zur Spurfindung nur ganz den vor ihm zuckelnden Tuningkunstwerken folgen. Wir nahmen Schlaglöcher und Bodenwellen frontal.

Geiler Stau

Am Straßenrand – wir waren auf der Reifnitz gegenüberliegenden Seeseite - saßen die Menschen Spalier. Den Hintern in Campingfaltsessel („Recaro“), die Füße auf Bierkisten. Ihre Autos in Sichtweite. Wenn ein GTI vorbei fuhr, jubelten sie. Also praktisch ständig. Und je nach Fabrik wurden Automarken-Flaggen geschwenkt. Meistens VW. Nie Peugeot. Aber als ich mich dann auf die Fensterbank des fahrenden Wagens setzte, brandete mir immer wieder Jubel entgegen. Eine Gruppe Mädchen zog die T-Shirts hoch. Erst nach ein paar Minuten begriff ich, dass das nicht mir oder meiner Waghalsigkeit (Schritttempo) galt, sondern bloß meinem Fotoapparat.

Foto: Thomas Rottenberg

Kläglich

Egal: In unserem popeligen Peugeot, beschallt von Elton John waren wir also Teil des GTI-Korsos. Menschen, die extra von weither angereist waren, zollten der Tatsache, dass ich sie beim Biertrinken am Straßenrand im Vorbeifahren eventuell fotografieren könnte, nicht nur Respekt, sondern Begeisterung. „Wie kläglich“, fragte J. neben mir, „muss ein Leben sonst sein, dass man das Beobachten einer Kolonne als großen Moment erleben kann?“

Foto: Thomas Rottenberg

Je näher wir Reifnitz kamen, umso dichter wurden Verkehr und Spalier. Ganze Felder waren mit einheitlich-individuell getunten Autos vollgeparkt. Es sah aus wie „Malen-nach-Zahlen“: Das Reglement erlaubt eine eingeschränkte Anzahl von Gestaltungsvarianten – aber jeder Mitspieler glaubt, die eigene, individuelle Kreativität zu leben. Das Faszinierendste, erklärten die Damen von der Rückbank (wir hatten usn ganz bewusst dem Klischee angepassta), sei, dass den Protagonisten ihre Uniformität auch nicht auffiele, wenn sie Seite an Seite stünden. Oder parkten. Oder soffen. Oder alles.

Foto: Thomas Rottenberg

Sozialaquarium

Wohingegen die Bewohner des von uns behausten Kulturkreises und Soziotops, ätzte ich zurück, echten Vollindividualismus ja gepachtet und erfunden hätten, oder? Statt einer Antwort kam nur ein Stöhnen: Ob wir wirklich bis nach Reifnitz fahren müssten, um all unsere Vorurteile bestätigten zu lassen?

Foto: Thomas Rottenberg

Ob es nicht genüge, den kraftmeiernd dreinblickenden GTI-Buben beim in die Gartenhecken pissen und den blondiert-gebräunten Push-Up-BH-GTI-Hasen beim Straßenrand- oder Neben-dem-Auto-Posieren im Vorbeifahren zugesehen zu haben? Ob es nicht genüge in den Gesichtern der Late-Teens und Early-Twens (meistens der Mädchen) hinter der Begeisterung für den Augenblick die heraufdämmernde Erkenntnis gesehen zu haben, dass damit der Lebensabenteuerhorizont wohl tatsächlich erreicht sein könnte? Weil ab jetzt oder in ein paar Jahren halt wirklich nur mehr Arbeiten, Kinderkriegen und Fernsehen das Programm sein würden?

Foto: Thomas Rottenberg

J. und ich wollten widersprechen. Aber da stand am Straßenrand ein kleiner Campingbus. Das Pärchen davor war knapp jünger als wir. Es trug die Uniform der GTI-Gemeinde – aber die der letzten oder vorletzten Saison. Beide sahen jungalt und ein wenig traurig aus. Abseits der Partykids saßen sie auf ihren Campingsesseln und schauten dem Konvoi fast melancholisch zu. Am Bus lehnte eine VW-Fahne. Und zwischen ihnen spielte eine etwa Vierjährige: Nächstes Jahr, wussten wir, würden sie wohl nicht mehr hier sein. Wir hatten genug gesehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Epilog

Später, wieder in Wien, rief J. dann an. Der tiefergelegte Honda Civic vor seinem Haus sei seit ein paar Tagen wieder da. Früher, sagte J., habe da ein durchsichtiger Damenstring am Rückspiegel gehangen. Auf der Heckscheibe stehe „Life is a Party“. Aber der String sei verschwunden. Dafür sei auf der Rückbank jetzt ein Kindersitz montiert. Säuglingsversion. Ausbaufähig. „Life is a Party“ stehe auf der Heckscheibe. Noch. (Thomas Rottenberg)

Foto: Thomas Rottenberg