Widmar Puhl, 1951 in Zell an der Mosel geboren, aufgewachsen im Rheinland und in Salzburg. Nach dem Studium Germanistik, Hispanistik, Philosophie und Geschichte in Köln wurde er Journalist und lebt heute als freier Autor und Redakteur in Kirchheim am Neckar. Er arbeitet für Hörfunk und Fernsehen und veröffentlichte Sachbücher, Biographien, Essays und Gedichte.

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Pilger preisen in Rom den Opus Dei-Gründer Josefmaria Escriva

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Widmar Puhl war zehn Jahre lang Mitglied des Opus Dei. Im Interview mit derStandard.at erklärt er, warum er beigetreten und dann wieder ausgetreten ist, und welche Erfahrungen er in dem "Verein", den er für eine "Sekte" hält, gemacht hat. Das Gespräch führte Rainer Schüller.

derStandard.at: Sie sind aus Opus Dei ausgestiegen und seit damals Kritiker dieser Vereinigung. Was hatte Sie zunächst zum Beitritt veranlasst?

Puhl: Wir lebten in Salzburg und mein Vater wurde nach Deutschland zurück versetzt als ich 14 war. Ich verlor meine Freunde, meine Ministrantengruppe, meine Pfadfinder: alles weg. Ich kam auf ein Internat, wo ich kreuzunglücklich war. Da brauchte ich jeden emotionalen Halt, den ich bekommen konnte. Den boten mein älterer, inzwischen verstorbener Bruder und seine Freunde in einem Bonner Studentenheim. Was ich nicht wusste: Was das für ein Laden war und dass dies alles aus Berechnung geschah.

derStandard.at: Warum sind Sie dann letztendlich ausgetreten?

Puhl: Ich wollte Journalist werden und kam schon bald nicht mehr mit der Heimlichtuerei und der Zensur meiner Arbeit zurecht. Bei jedem Thema von Relevanz beim Ayatollah vorreiten und dem das letzte Wort lassen – so entsteht keine freie Presse. Und dann wollte ich auch nie geschlechtslos leben, auch wenn meine geistlichen Leiter es eine Zeitlang schafften, mir einzureden, dieser ihr Wille sei für mich der Wille Gottes. Mein Gott, da war ich 15!

derStandard.at: Sie haben sich mehrfach kritisch über Opus Dei geäußert. Gab es Reaktionen darauf?

Puhl: Am Anfang waren die Reaktionen von Opus Dei-Seite hysterisch. Ihre Rechtsanwälte drohten mit Prozessen, die ich zwischen Geschwistern nicht wollte. Da ich außerdem keine aktuellen Informationen mehr bekam und nicht zu den Leuten gehöre, die ihre Vergangenheitsbewältigung zum Beruf machen, haben wir ein Stillhalteabkommen geschlossen – vor allem mein Bruder Stefan und ich.

Daran fühlte ich mich erst dann nicht mehr gebunden, als Stefan 1997 starb und ich sah, wie die Opus-Leute sogar sein Begräbnis noch zu einer hemmungslosen Reklameveranstaltung machten. Und als dann der Gründer heilig gesprochen wurde, fand ich nun wirklich, dass dieser Mann kein Vorbild der Christenheit sein sollte.

Als ich mit einem Team der ZDF-Reporter den Opus-Dei-Deutschlandchef Christoph Bockamp vor der Heiligsprechung auf dem Petersplatz traf, wollte ich ihn stellen und er flüchete. Das wurde gesendet, aber wir haben vergeblich mit Ärger gerechnet. Die neue Strategie heißt wohl: Peinlichkeiten besser totschweigen.

derStandard.at: Haben Sie heute noch Kontakt zu Opus Dei?

Puhl: Persönlich nicht. Meine älteste Schwester ist aber noch Mitglied. Wir waren fünf Geschwister: zwei Mitglieder, zwei Nichtmitglieder und ich als Dissident zwischen allen. Diese Vergangenheit wird man nie los, man kann nur lernen damit umzugehen.

derStandard.at: Halten Sie Opus Dei für eine Sekte?

Puhl: Für mich ist das Opus Dei eine Sekte, weil es weitgehend verdeckt arbeitet und nach Macht strebt, um missionarischen Ziele durchzusetzen.

Es gibt zwar eine deutsche Übersetzung der lateinischen Satzung, die ich habe. Aber sie wurde weder autorisiert noch veröffentlicht – genauso wenig wie die lateinische Version. Es sagt Ihnen auch niemand, wer dazu gehört. An jeder Klosterpforte ist das anders.

Macht und Einfluss gewinnen Opus-Dei-Mitglieder nicht durch ihre schiere Zahl, sondern durch ihre Freunde. Und die suchen sie gezielt immer ganz oben. Papst Johannes Paul II. ist das beste Beispiel. Den haben sie bereits als armen Kardinal aus dem Ostblock in Rom bewirtet und mit ihrer Marienverehrung beeindruckt. Er hat prompt das Opus Dei offiziell anerkannt und seinen Vatikansprecher aus diesem Club geholt. Der macht seinen Job heute noch.

derStandard.at: Sollte Opus Dei verboten werden?

Puhl: Verbote sind sinnlos. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich dem Opus Dei aber alle kirchlichen Privilegien entziehen und den Verein streng kontrollieren: Geld, Personal, Aktivitäten müssten absolut transparent gemacht werden.

Von staatlicher Seite würde ich über Anpassungen des Vereinsrechts und Stiftungsrechts Transparenz und Rechtsstaatlichkeit erzwingen bei Leuten, die ich für Fundamentalisten halte – allerdings katholische.

derStandard.at: Von Opus Dei-Seite wird dementiert, dass die Selbstgeißelung Teil der Rituale ist. Wie waren Ihre Erfahrungen?

Puhl: Wenn sie das heute dementieren, lügen sie. Sie tricksen wie Winkeladvokaten mit Definitionen herum: Was sind Rituale? Für diese Leute sind das persönliche Bußpraktiken – man versohlt sich den Arsch ja nicht vor Zeugen – Rituale dagegen öffentliche oder zumindest in der Gruppe vollzogene religiöse Handlungen.

derStandard.at: Einer der Grundgedanken von Opus Dei soll es sein, eine gläubige Elite in die Machtpositionen der Welt zu schicken. Wie mächtig ist der Verein bereits und wie mächtig könnte er noch werden?

Puhl: Ich bin kein Prophet. Aber wer verfolgt hat, woher z.B. der rechtslastige Bischof Krenn seine Unterstützung hatte, oder wer in Deutschland die gegenwärtigen Diskussionen um Kinderwahlrecht und Besserstellung der Familie gegenüber Singles oder Kinderlosen angestoßen hat, kann öffentlichen Einfluss des Opus Dei nicht abstreiten.

derStandard.at: Haben Sie das Buch "Sakrileg" gelesen bzw. den Film dazu gesehen?

Puhl: Das Buch habe ich gelesen, und da ist das Opus Dei mehr im Hintergrund als im Film, soweit ich weiß. Ich konnte ihn aber noch nicht sehen. Ich hab jetzt ein paar Tage Urlaub, da will ich´s tun.

Aber sowohl das Buch als auch der Film sind Fiktion, Erfindung, Unterhaltung. Ich finde es fatal, so etwas an der "historischen Wahrheit" oder Tatsächlichkeit zu messen. Genau das tun islamische Fundamentalisten gern, und die mag ich auch nicht. Freiheit der Kunst und Literatur ist etwas anderes. Sie spricht Gefühle an, auch ungute, und das ist absolut legitim.

derStandard.at: Woran glauben Sie heute?

Puhl: An Gott und an die Universalität einer "katholischen" Religion im Sinn des griechischen Wortursprungs: all- umfassend, global. Was ich wissen kann, brauche ich nicht zu glauben. Glaube ist daher für mich ein Angebot für den Umgang mit dem, was über diesen Horizont hinausgeht. Dafür gebe ich aber niemandem ein Mandat für Machtausübung. Im Namen der Liebe fände ich das pervers.