Prag - Wird Tschechien nach der Parlamentswahl weiterhin mit "gespaltener Zunge" in der Europapolitik sprechen? Oder wird man aus Prag künftig dazu eine einheitliche Position von Staatspräsident und Regierung hören? Auch diese Fragen stellen sich im Hinblick auf den Urnengang am 2. und 3. Juni neu. Verbale Zusammenstöße zwischen dem Herrscher auf der Prager Burg, dem Ehrenvorsitzenden der in Opposition befindlichen konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) Vaclav Klaus und Kabinett des sozialdemokratischen Premiers Jiri Paroubek sowie dem christdemokratischen Außenminister Cyril Svoboda waren in der Vergangenheit keine Seltenheit.

Innenpolitische Fragen dominieren

Im Wahlkampf steht das Thema EU im Unterschied zu 2002 nicht im Vordergrund. Diesmal dominieren innenpolitische - vor allem soziale - Fragen. Dennoch ist die Wahl mit einer europapolitischen Kursentscheidung verbunden: Sollte Paroubek erneut Ministerpräsident werden, kann man sich weiter auf eine pro-europäische Regierungspolitik einstellen. Kommt dagegen die ODS an die Macht, ist mit einer gegenüber Brüssel skeptischen Linie im Einklang mit dem Hradschin zu rechnen.

"Ablehnung der Verfassung keine Katastrophe"

"Die Ablehnung der EU-Verfassung ist keine Katastrophe für die EU", heißt es im Wahlprogramm der Bürgerpartei. Im Gegenteil, das Scheitern des Vertragswerkes werde es ermöglichen, sich mit der EU-Erweiterung besser auseinander zu setzen. Es werde ein Raum für Gespräche über eine EU eröffnet, die besser den Anforderungen des 21. Jahrhunderts genüge, meint ODS-Chef Mirek Topolanek, der die Verfassung einmal als "shit" (englisch: Scheiße) bezeichnet hatte.

Was beispielsweise die Gemeinsame Außenpolitik angeht, so soll diese nach dem Willen der ODS "auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und der Einstimmigkeit" basieren. Die "größte Errungenschaft der EU und die Grundlage der europäischen Integration bleibt für uns der einheitliche europäische Markt", lassen die Tschechischen Konservativen keine Zweifel, dass sie die Europäische Union in erster Linie als Wirtschaftsgemeinschaft betrachten. Dass dieser Kurs Prags von einer ODS-Regierung eingeschlagen und eingehalten wird, dafür will der Europaabgeordnete und Anwärter der Bürgerpartei auf den Außenminister-Sessel, Jan Zahradil, sorgen. Er war Mitglied des EU-Verfassungskonvents und ist ein vehementer Kritiker des ausgearbeiteten Entwurfes.

"Europäismus"

Ähnlich kritisch die Position und ähnlich harsch die Rhetorik des Präsidenten. Erst kürzlich griff Klaus wieder den "Europäismus" als einen "neuen, naiven und romantischen Utopismus" an. Das gesamte "EUtum" sei ein "revolutionärer Umsturz des normalen Ablaufs der Dinge", wetterte er. Paroubek lag mit dem Staatsoberhaupt nicht zuletzt deswegen im Clinch, weil es diese Haltung bei Auslandsbesuchen unverblümt zum Ausdruck brachte. Der Premier drohte sogar, dem Präsidenten die für offizielle Auslandsreisen nötige Billigung der Regierung zu verweigern.

Die Sozialdemokraten (CSSD) werfen der ODS und Klaus vor, die EU schwächen zu wollen. "Wir sind gegen eine enge Auffassung der EU als Freihandelszone. Entschieden stellen wir uns gegen die Pläne der ODS und ihres Ehrenvorsitzenden Vaclav Klaus, die EU zu demontieren", steht im Wahlprogramm der CSSD. Eine solche Politik würde die Rückkehr zu den Konfliktbeziehungen bedeuten, die es in Europa vor den beiden Weltkriegen gegeben habe. Die EU sei ein "erfolgreiches Projekt", das von "grundlegender Bedeutung" für die weitere Entwicklung der Tschechischen Republik sei.

Kleinparteien

Auch die Christdemokraten (KDU-CSL) sowie die Grünen, die als mögliche Koalitionspartner beider großen Parteien gehandelt werden, bekennen sich klar zur EU und zu einer weiteren europäischen Integration. In diesem Punkt liegen die zwei Kleinparteien eindeutig näher an den Sozialdemokraten als den Konservativen.

Sollte nach der Parlamentswahl erneut eine pro-europäische Regierung ans Ruder kommen, könnte die Gespaltenheit in der tschechischen Europapolitik andauern. Die Amtsperiode von Klaus dauert noch eineinhalb Jahre, und er will wiederkandidieren. Ein aussichtsreicher Gegenkandidat der Sozialdemokraten ist bisher nicht in Sicht. (Senk/APA)