Zeev Milo

Privat

Beim Vortrag: "Im Schatten des Dritten Reiches. Vernichtung und Verfolgung im Ustascha-Kroatien 1941-1945" am 2. Mai 2006 an der Uni Wien

derStandard.at/Sivich
Wien – Zeev Milo alias Vladimir Müller wurde 1922 in Zagreb geboren. Mit der Herrschaft der Ustascha im "Unabhängigen Staat Kroatien" (NDH) kam 1941 eine Ideologie, die auf fanatischem Serbenhass und Antisemitismus basierte, an die Macht. Das Regime vernichtete innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit drei Viertel der kroatischen Juden. Unter den Toten befanden sich auch fünf Mitglieder von Zeev Milos Familie. Ihm und seinen Eltern gelang es, nach eineinhalb Jahren Leiden und Lebensgefahr, in die italienisch besetze Zone an der Adriaküste und später zu den Partisanen zu fliehen. 1949 wanderte er mit seinen Eltern nach Israel aus. Nach Beendigung seines Studiums trat er in die israelische Armee (IDF) ein und diente Jahrzehnte als Oberst. Später war Milo in führenden Positionen in der israelischen Elektronik-Industrie tätig. 2002 ist sein Buch "Im Satellitenstaat Kroatien. Eine Odyssee des Überlebens 1941-1945" erschienen.

Im derStandard.at-Interview spricht Milo über Demokratie und Vergangenheitsbewältigung im heutigen Kroatien, über den Umgang mit Terror und Antisemitismus, sowie über das Bedrohungspotential des Iran gegen den jüdischen Staat und der Gefahr einer neuerlichen Shoah.

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derStandard.at: Ihr Buch "Im Satellitenstaat Kroatien: Eine Odyssee des Überlebens 1941-1945" wurde 2002 in Serbien, nicht aber in Kroatien veröffentlicht. Warum?

Milo: Das ist richtig. Ich habe mein Buch nur in Belgrad veröffentlicht, nicht aber in Zagreb. Ich hatte Angst, dass ich in Kroatien Schwierigkeiten bekommen könnte. Vielleicht hat die Ustascha jetzt weniger Einfluss als 1991, als ich das letzte Mal dort zu Besuch war. Trotzdem hatte ich beschlossen, nie wieder nach Kroatien zu fahren.

derStandard.at: Ist Kroatien heute ein ganz normaler demokratischer Staat?

Milo: Nein, nein! Das ist er ganz bestimmt nicht. Aber es gab Änderungen seit der Zeit des kroatischen Nationalismus unter Franjo Tudjman. Er war offen antisemitisch, ein Ustascha-Anhänger und er hatte immer ein "verkehrtes" Geschichtsbild. Tudjman hat den Juden unterstellt, sie hätten sich in den Konzentrationslagern selbst umgebracht. Unter ihm war die politische Lage besonders schlimm.

derStandard.at: Wenn Kroatien nun "kein ganz normaler demokratischer Staat" ist, was würden Sie dann EU-Politikern empfehlen? Was müsste die EU von Kroatien vor einem EU-Beitritt verlangen?

Milo: Zum einen müsste Kroatien ganz öffentlich die Ustascha und alle ihre Tätigkeiten verbieten. Weiters müsste Kroatien die Taten der Ustascha verurteilen und sich für diese Taten entschuldigen. Kroatien müsste öffentlich machen, welche Verbrechen im Namen der Ustascha und des kroatischen Staates begangen wurden. Und natürlich müsste Kroatien versichern, das nie wieder zu machen.

derStandard.at: Was genau meinen Sie damit?

Milo: Gemordet wurde während des Zweiten Weltkrieges überall; aber nirgendwo wurden Menschen auf so eine sadistische Weise gequält und getötet wie in Kroatien. Wenn Sie nachlesen, was im Konzentrationslager Jasenovac geschah, das ist unfassbar und unvorstellbar, welche Verbrechen dort begangen wurden. Und dieser Vergangenheit muss sich Kroatien stellen ohne sie mit anderen Geschehnissen zu vergleichen. Das schlimmste ist, wenn solche Gräuel relativiert werden.

derStandard.at: Sie haben fast drei Jahrzehnte in der israelischen Armee gedient und viel "Erfahrung" im Umgang mit Terror gemacht. Bevor wir auf die aktuelle Situation in Israel zu sprechen kommen, möchte ich Sie über jene weiter zurückliegende Terroranschläge in Österreich und deren Auswirkungen befragen. Sie erinnern sich beispielsweise an den Anschlag auf das Durchgangslager Schönau im September 1973?

Milo: Ja, selbstverständlich. Und ich schätze die Reaktion der damaligen österreichischen Bundesregierung sehr negativ ein. Das Schlimmste ist, wenn man dem Terror nachgibt. Wenn Terror „zugelassen“ wird, vergrößert dies nur den Terror. Die Terroristen werden mit ihren Taten nicht aufhören, wenn ihnen nachgegeben wird, ganz im Gegenteil.

Um auf den Terroranschlag auf das österreichische Durchgangslager für jüdische Flüchtlinge aus Russland zurückzukommen. Der damalige Kanzler Kreisky hat für sich den bequemsten Weg genommen. Er wollte sich nicht mit den Terroristen anlegen und ist einfach auf ihre Forderung, das Durchgangslager zu schließen, eingegangen.

derStandard.at: Wie haben Sie die Schließung des Durchgangslagers Schönau bewertet?

Milo: Es war eine unfreundliche Geste gegenüber dem Staat Israel und es war aber auch aus humanitären Gründen ein unfreundlicher Akt gegenüber den russischen Juden.

Die UNO hat den Staat Israel gegründet und der Zweck war nicht nur den dort lebenden Juden ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu geben, sondern allen von Antisemitismus bedrohten Juden auf der ganzen Welt ein sicheres Land zum Leben zu geben. Doch gab es nach der Schließung von Schönau für die russischen Juden keine Möglichkeit mehr nach Israel zu kommen.

derStandard.at: Gab es weitere Aspekte bei diesem Terroranschlag?

Milo: Ja. Der Anschlag auf Schönau war vermutlich auch ein Ablenkungsmanöver vor dem Jom Kippur Krieg. Die Angehörigen der ägyptischen Militärdiplomatie wurden zu einem Militärmanöver einberufen. Am Tag des Kriegsbeginns sollte die Übung eigentlich auch wieder zu Ende sein. Doch dem war nicht so, wir haben die Situation falsch eingeschätzt.

derStandard.at: Was waren die Folgen dieses Krieges?

Milo: Der Jom Kippur Krieg war die größte Tragödie. Nicht nur die direkten Folgen. 2.500 israelische Soldaten starben, 7.500 wurden verletzt. Eine der Folgen, die wir bis heute beobachten können, ist die Tatsache, dass die Araber zum ersten Mal das Gefühl hatten, sie könnten Israel besiegen. Bis heute gibt es jedes Jahr in Ägypten eine große Feier über den angeblichen Sieg über Israel. Aber auch wenn sie nicht gesiegt haben, haben sie doch ihre Stärke gezeigt. Sie haben den Mythos von der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee revidiert.

derStandard.at: Wie war das für sie? Haben sie je Angst gehabt um das Bestehen des jüdischen Staates?

Milo: Es sah wie beispielsweise im Jom Kippur Krieg manchmal sehr schlecht für uns aus. Aber eine ernsthafte Gefahr für die Existenz des Staates Israel war bisher nicht gegeben.

derStandard: Hat sich seit der Regierungsbeteiligung der Hamas etwas an der Gefahr geändert?

Milo: Nein, hat sich nicht. Die letzten Attentate wurden hauptsächlich von der Fatah ausgeführt, das war auch früher so. Arafat hat seine Attentate dann so halb "verurteilt", aber nichts dagegen gemacht. Die Hamas verurteilt die Attentate nicht Mal, für sie sind sie in Ordnung. Wenn der Sicherheitszaun einmal beendet ist, werden sie nicht mehr viel machen können.

derStandard: Zahlreiche "Kritiker" der israelischen Politik teilen nicht Ihre Einschätzung des Sicherheitszaunes.

Milo: Wir haben jeden Tag bis zu 100 Warnungen vor Selbstmordattentätern. Stellen Sie sich vor was passiert, wenn nur die Hälfte durchgeführt würde. Wir suchen die Täter, bevor sie die Tat ausführen können. Das ist unser Recht auf Selbstverteidigung. Wir schießen, auch wenn viele "Kritiker" von Israel das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, nicht auf alle. Wenn wir unsere gesamte Stärke einsetzen würden, gingen wir mit der Artillerie gegen die Terrorgruppen vor. Da gäbe es dann in einer Stunde tausende Tote. Und die Hamas und die anderen Terrororganisationen würden auf den Knien betteln, für einen Waffenstillstand.

derStandard: Wo sehen sie die Quellen für den Terror heute?

Milo: Die Quellen für den Terror heute sind Syrien, das dem Hamaschef Maschaal Unterschlupf gewährt, und der Iran. Alle anderen verhalten sich ruhig und wollen sich nur aus dem Konflikt heraushalten. Ägypter, Jordanier sind froh, dass sie aus diesem "Club" draußen sind, die sind selbst in Gefahr durch die Terroristen.

derStandard.at: Sie sagen, dass Israel bisher nicht ernsthaft bedroht war. Wie schätzen Sie den Iran ein, dessen Präsident nicht müde wird zu drohen, Israel zu vernichten und auch weiter am Atomprogramm festhält?

Milo: Der Iran ist unbedingt eine sehr ernste Bedrohung. Es ist das erste Mal seit der Staatsgründung 1948, dass die Existenz von Israel bedroht ist. Die Gefahr, dass der jüdische Staat und mit ihm ein Großteil seiner Bevölkerung vernichtet wird, die Gefahr einer neuerlichen Shoah, besteht heute.

derStandard: Wie schätzen Sie die Zeitspanne für weitere diplomatische Versuche ein, den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen?

Milo: Deutschland, Frankreich, England werden weiterverhandeln, noch ein Jahr, vielleicht auch noch zwei Jahre, bis es zu spät ist. Ich bin in dieser Beziehung sehr pessimistisch. Ich glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft etwas unternehmen wird, um den Iran am Bau von Atomwaffen zu hindern.

Man sagt, die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber das stimmt nicht. Hitler hat man auch nachgegeben. Fast alle dachten, die Nazis würden nur bis an gewisse Grenzen gehen. Zuerst die Abtrennung des Sudetenlandes, dann die Okkupation von Tschechien. Die Alliierten haben gedroht, aber eigentlich nichts gemacht. Aber ich glaube, weder Sanktionen noch Diplomatie werden Mahmoud Ahmadinejad zur Räson bringen.