Miljenko Jergovic:
"Buick Riviera"
Roman. Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert. € 20,50/256 Seiten. Schöffling Verlag, Frankfurt/Main 2006

Buchcover: Schöffling Verlag
Wenn es stimmt, dass ein Autor dann ein großer Autor ist, sobald er Gegenstand und Zielscheibe literarischer (und sich literarisch gebender) Polemik ist, dann trifft das mit Sicherheit auch auf Miljenko Jergovic zu. Dem Erzähler und Kolumnisten aus Zagreb werden dieser Tage im Rahmen eines unbarmherzigen feuilletonistischen Fights, an dessen Anfang Michel Houellebecq stand, einmal wieder seine "Wurzeln in Sarajewo" vorgehalten.

Die bosnische Biografie des kroatischen Autors allein kann mit dieser verklausulierten Formel nicht gemeint sein. Vielmehr moniert Houellebecqs kroatischer Herausgeber Drazen Katunaric (ehemaliger Vize-Präsident des kroatischen PEN-Zentrums) Jergovics Einstehen für den Islam und die bürgerlichen Rechte von Muslimen zu einem Zeitpunkt, da die "Hamas Wahlen gewinnt". Vor der brennenden Synagoge werden alle Menschen zu Juden, erläutert Jergovic seine prinzipielle Überzeugung mit mäßigenden Worten und fügt deshalb an, der Unterschied zwischen "kroatischen, serbischen oder jugoslawischen Faschisten" sei ihm schnurz. Dass auch er unter der Gürtellinie boxen kann und seinem Gegner zwecks Verkleinerung des Lochs im öffentlichen Haushalt den Selbstmord nahe legt, belegt indes eine wenig aufregende Tatsache: Literaten sind auch nur Menschen.

Aus demselben Stoff gemacht ist auch Buick Rivera, in dem sich der Autor von der bis dato praktizierten Kurzform löst und seinen ersten Roman vorlegt. Diesen siedelt er geografisch in Amerika an, und zwar unmittelbar nach der Zeitenwende vom 11. September 2001. An der inhaltlichen Oberfläche wird dabei der Autofetischismus des als Filmregisseur aufgebrochenen und als Kulissenschieber gestrandeten Hasan Hujdur erzählt. Das Objekt seiner Begierde gibt dem Buch den Titel. Jergovic erzählt vordergründig auch die Geschichte eines Wagens, der puncto Benzin- und Blechverschwendung in den heute überall gleichermaßen beliebten Off-Roadern würdige Nachfolger gefunden hat. Eine Autopanne ist dramaturgisches Mittel, um in Toledo/Oregon den Muslimen Hujdur mit dem bosnischen Serben Vuko alipur zusammenzuführen, der sich aus der Heimat verdrücken musste, um sich der Anklage durch das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal zu entziehen.

Es ist bezeichnend für Jergovic, dass er sich den Luxus leistet, Schuld und Unschuld im Krieg sehr ungleich zu verteilen, wenngleich dies der Wahrnehmung in den jeweiligen Lagern entspricht: Der Serbe ist schlicht ein Dreckskerl, und er hat offensichtlich einiges auf dem Kerbholz. Der Muslim Hasan hingegen wirkt auf Anhieb sehr amerika- und partnerschaftstauglich. Zudem ist er schon lange vor Kriegsausbruch emigriert, womit klar ist, dass er nicht daran teilgenommen haben kann.

Selten sind die banalen menschlichen Leidenschaften und Motivationen, die sich im Krieg vorzugsweise als Nationalismus oder Kampf für ein höheres Ziel tarnen, so überzeugend demaskiert worden wie in der Figur des Vuko alipur: In den zentralen Rückblenden erinnert sich der ehemalige Busfahrer Vuko etwa daran, wie er dem blinden Greis Almas Dzafic "einen Tritt in den schlaffen Hintern" hätte verabreichen können, als dieser von den serbischen Horden im Blutrausch nackt an ihm vorübergeschleppt wurde. Dieser Vuko hätte eigentlich schon damals gerne die Prügel weitergegeben, die er selbst als Kind von seinem Vater abbekommen hatte. Messerscharf und minutiös fördert Jergovic die seelischen Versehrungen zutage, die den Serben zu dem werden ließen, der er ist. Kaum in Amerika angekommen, angelt sich der zwecks Erlangung der Staatsbürgerschaft die millionenschwere Bankertochter und Ökologin Lisa, die seinen groben und berechnenden Charme als "Authentizität" missdeutet.

Der Honigmond endet aber abrupt, als Vuko einem der vielen herrenlosen Hunde den Hals umdreht, die seine Frau im Haus vor der Stadtverwaltung versteckte: "Lisa hatte begriffen, dass es sich nicht um kulturelle Unterschiede handelte, denn es mag ja Völker geben, die sich bis zur gegenseitigen Ausrottung umbringen, aber es gibt keines, im dem es als normal gilt, Babys, und seien es Hundebabys, das Genick zu brechen. Er hatte die Grenzen des Erträglichen überschritten."

Lisa dient ebenso wie Hasan Hujdurs deutsche Freundin Angela als dramaturgisches Mittel für Jergovics ironische Demontagen der gängigen westlichen Balkan-Stereotypen. Dass die beiden Frauenfiguren mitunter zum bloßen Klischee der serbo-kroato-bosnischen Vorstellung verkommen, dass in Amerika bzw. Europa der Diskurs über "Umweltschutz" oder "Menschenrechte" ausnahmslos vor dem konkreten Menschen stünden, beeinträchtigt die Persiflage insgesamt nicht. Natürlich ist Angela hocherfreut darüber, als Vuko Hasan den "Schrotthaufen" von Buick zu einem irrationalen Preis abkauft, um diesem "Jammerlappen" zu beweisen, dass er ihm seinen Willen aufzwingen kann. Hasan nimmt diesen Vorfall zum Anlass, Angela zu verlassen und "nach Kandahar zu gehen."

Hasan setzt sich mit dem Abschiedsbrief dem Verdacht aus, sich den Taliban angeschlossen zu haben. Die Zufallsbekanntschaft Vuko wird zum gefragten Experten für den abgetauchten Schläfer, stellt tiefschürfende Betrachtungen zu Schein und Sein der Person Hasan Hujdur an. Das ist Jergovics finaler Kunstgriff, die absurde Zuspitzung und Umkehrung ins Fantastische.

Buick Rivera ist ein Trümmerinventar: Unter Jergovics verführerisch süffiger Ironie - von Brigitte Döbert vorzüglich übersetzt! - gewahren wir immer wieder die seelischen Verletzungen der Hauptfiguren. Ob diese zu echtem Hass metastasieren und sich gegen die eigene Person, den Ehepartner, streunende Hunde oder Angehörige einer anderen Nation richten, ist zumeist eine praktische Frage: Gelegenheit macht Diebe, bzw. Schläger, Selbstmörder oder Kriegsverbrecher. Zivilisation und Kultur vermögen dem gegenüber nur wenig. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.5.2006)