Die unfassbarste Verführung in Person seit Sophia Loren oder Claudia Cardinale: Penélope Cruz bezaubert in Pedro Almodóvars jüngstem Film "Volver".

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Wenn es nach dem gegenwärtigen Windmühlen-Aufkommen in La Mancha ginge: Ganze Heerscharen von Don Quijotes wären nötig, träumerisch gegen sie anzutreten. Aber nein: Eigentlich sind die Windräder, die sich in Pedro Almodóvars Volver drehen, ja wuchtige Manifestationen moderner Stromproduktion, die Männer und erst recht die letzten Ritter scheinen jedoch, bis auf ein paar eher hilflose oder ungustiöse Exemplare, ausgestorben.

Und es liegt an den Frauen - den herrlichsten, fantasievollsten, liebenswertesten Senoras und Senoritas, die das Kino gegenwärtig zu porträtieren vermag - zu träumen, gegen titanische Ängste anzutreten, Romantik und so etwas wie Haltung zu retten.

Volver (deutsch in etwa: Zurückkehren), das ist das erste Meisterwerk im noch jungen 59. Filmfestival in Cannes. Es ist der Film, mit dem dieses Fest jetzt erst richtig begonnen hat, mit aller Freude an jedem sinnlichen Detail, das grandioses Kino nun einmal ausmacht. Es ist ein Film, den nicht einmal sein Regisseur und Autor wirklich nacherzählen kann und der mit dem einzigen Satz, auf den man ihn reduzieren könnte, höchst unzureichend umrissen wäre:

Eine verstorbene Mutter (Carmen Maura) kehrt zurück, erscheint ihren beiden mehr oder weniger in Bedrängnis geratenen Töchtern (Penélope Cruz und Lola Duenas) als Geist, tut aber einfach, was eine klassische Mutter tut: Sie liebt, sie hilft und manchmal nervt sie gewaltig.

In Hollywood würde so etwas in der Regel eine kitschige Geisterromanze, ein Hohelied auf den Zusammenhalt von Familien ergeben. In Hollywood wird aber auch Penélope Cruz meist nur als ausgezehrtes Beinahe-Model gefilmt. Hier, bei und für Pedro Almodóvar, ist sie in etwa die unfassbarste Verführung in Person seit Sophia Loren oder Claudia Cardinale. Und sie hat ungleich bessere Dialoge.

Einmal ist sie gerade dabei, einen erstochenen Alkoholiker-Ehemann zu verräumen. Es klingelt an der Tür, und dem Nachbarn, der dann fragt, was denn der Blutfleck an ihrem Hals soll, erwidert sie eher geistesabwesend: "Frauenbeschwerden." Das trifft den Nagel auf den Kopf, so wie dieser Film praktisch keine Sekunde ungenützt lässt, immer neuen Reichtum zu entfalten. Man wird ihn wieder und wieder sehen wollen.

Fast-Food-Kino

Ziemlich enttäuschend gestaltete sich leider der Wettbewerbsauftritt des US-Independent-Regisseurs Richard Linklater, der heuer gleich zwei Filme vorstellt. In der Reihe Un Certain Regard zeigt er den Animationsfilm A Scanner Darkly - und man kann nur hoffen, dass der ungerechterweise viel besser ist als das, was Linklater im Kampf um die Palme d'Or aufbietet:

Fast Food Nation, eine offenkundig ziemlich hastig und billig gemachte Tragikomödie rund um Globalisierung, Gewalt und - wortwörtlich - Scheiße im/als Essen, kann sich nicht recht entscheiden: Will man rund um einen törichten Hamburger-Ketten-Mitarbeiter (Greg Kinnear) die Fallstudie eines lächerlichen Unpolitischen erzählen? Dafür ist das Drehbuch zu wenig einfalls- und detailreich. Will man ein junges Publikum einmal mehr darüber informieren, was das heißt: We feed the world? Da wäre dieses Publikum mit einschlägigen Dokumentationen besser bedient. Oder will man ein Grenzlanddrama über die Ausbeutung illegaler mexikanischer Einwanderer erzählen?

Nun ja, irgendwer hätte sich hier vermutlich entscheiden müssen. So steht das Grandiose einmal mehr in Nachbarschaft zur bloßen Behauptung, auf bestätigte Liebe zum Kino folgt herbe Desillusion, und immer noch ist dies nirgendwo auf diesem Planeten in besserer Atmosphäre möglich als in Cannes.

Denn mögen sich auch große US-Sommerkino-Plakate brüllend über Hotelfassaden erstrecken: Die wahren Helden sind hier die Don Quijotes des Kinos, in diesem Fall also vorerst Pedro Almodóvar, bei dem in den nächsten Monaten wohl Waschkörbe an Post eintreffen werden: flehentliche Bitten von weiblichen Superstars, sie doch einmal nur derart wunderbar neu zu erfinden wie Penélope Cruz. (DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.5.2006)