Raymond Williams, britischer Kulturtheoretiker.

Foto: Universität für Angewandte Kunst Wien
Wien - "Im deutschsprachigen Raum ist Raymond Williams ein völlig toter Hund", konstatiert der österreichische Kulturwissenschafter Roman Horak. Das zu ändern, hält der Professor an der Wiener Universität für angewandte Kunst schon allein aus folgendem Grund für notwendig: "In England ist er ein Superstar, und auch in Amerika gehört er zum Standard" bei allen, die sich mit Cultural Studies im Allgemeinen und insbesondere mit Medienwissenschaft und kritisch angewendeten Literaturstudien beschäftigen.

Williams prägte das Politik-und Kulturverständnis der angelsächsischen Linken wie wenige andere. 1921 in Wales in eine proletarische Familie hineingeboren und in Cambridge mit dem akademischen Leben vertraut geworden, reflektierte Williams bis zu seinem Tod im Jahr 1988 die Spannung zwischen einer handfesten Basis und einem intellektuellen Überbau. Diese holte er auf den empirischen Boden zurück - eine speziell englische Tradition, die sich etwa in seinem Klassiker Culture and Society (1958) manifestierte.

"Völlig tot" war Williams auch bei uns nicht immer. Das genannte Buch erschien - modisch tiefer schürfend eingedeutscht unter Gesellschaftstheorie als Begriffsgeschichte - 1972, dazu diverse Bände seiner Schriften, etwa seine Studien zu Orwell. Aber das alles ist längst vergriffen.

Besinnung

Erst in den letzten Jahren, eben unter dem Einfluss der Kulturwissenschaften, besinnt man sich wieder eines Autors, der die Kultur als im Alltag verankert sieht. Wie Roman Horak meint, "ein Gegengift gegen die abgehobenen deutschen Debatten, etwas Labouristisches", lokal verankert und vom Lebensgefühl einer bestimmten Schicht in einer bestimmten Zeit ausgehend; dazugehörende Stichworte: Liverpool; Fifties; Jugendjahre der Beatles.

Raymond Williams verfolgte diese aufklärerische Absicht auch in seinen Romanen. Autobiografisch gefärbt schilderte er das Leben der Bergarbeiter in Wales oder den Spagat zwischen der "low" und der "high culture", den er betrieb und beherrschte.

Es sei sinnvoll, erklärt Horak, seinen materialistischen Kulturbegriff wieder zu entwickeln. Das fand auch die Wiener Anglistin Monika Seidl. Sie hatte die Idee zu einem Symposium über Williams; Untertitel: "in honour of Pat Häusler-Greenfield", deren Schülerin Seidl war und die ihrerseits eine Schülerin von Williams war.

Konferenz-Gäste

Die Generation der Enkel lud nun also nach Wien, und einige der ganz großen Namen der Cultural Studies werden an diesem Wochenende erwartet: Lawrence Grossberg etwa aus Chapel Hill, North Carolina, oder Terry Eagleton aus Manchester, wichtiger Literaturtheoretiker - und natürlich auch ein Williams-Adept. Für Roman Horak liegt denn auch die besondere Bedeutung Williams' darin, "dass er die Literaturkritik nach links gewendet hat".

Glaubt Horak, dass die zweitägige Wiedererweckung des Mannes auf den hiesigen Betrieb weiter anwendbar sein wird? Nicht direkt, meint er, "aber es scheint mir sinnvoll, wieder einen materialistischen Kulturbegriff mit Rückgriff auf seine Gedanken zu entwickeln". Das sei allemal besser als das Bluffen mit trendigen Begriffen. (DER STANDARD, Print, 19.5.2006)