Illustration: Fatih Aydogdu

Illustration: Fatih Aydogdu
Donnerstagmittag, London Heathrow. Die Frisur hält, die Contenance nicht. "Brandrede", "mangelnde Solidarität", "Selbstdarstellungsbedürfnisse": Das wird ORF-Generaldirektorin Monika Lindner gleich per Aussendung einem ihrer wichtigsten "ZiB"-Stars vorwerfen.

Armin Wolf sagte ORF und Regierung in seiner Rede zum Robert-Hochner-Preis 2006 am Mittwochabend "fast hemmungslose" Einflussnahme auf dem Küniglberg nach; zudem "extrem viel Macht" in der Hand des TV-Chefredakteurs. Das ist nur die jüngste, wenn auch spektakulärste Aktion im Widerstand von ORF- Journalisten gegen ihre Führung.

Generalin fliegt

Wochen vor der Wahl des nächsten ORF-Managements macht die Aussicht auf fünf weitere Jahre offenbar die Mannschaft nervös. "Dann ist das Unternehmen hin", sagt ein langjähriger ORF-Redakteur, der verständlicherweise nicht genannt werden will.

Die Generaldirektorin der öffentlich-rechtlichen Anstalt ORF flog Donnerstag über London nach Los Angeles, zu den "LA Screenings". Das ist die wichtigste Messe für US- Kaufprogramme.

Als ihr Moderator Armin Wolf Mittwochabend in der Präsidentschaftskanzlei den wichtigsten Preis des Landes für TV-Journalisten erhielt, fehlte Lindner indes. TV-Chefredakteur Werner Mück sieht man seit zumindest einem Jahr bei allen Veranstaltungen, die einem künftigen Info-, Fernseh- oder gar Generaldirektor wesentlich sein könnten, bis hin zu Events der Werbebranche. Der Verleihung des Hochner-Preises an einen seiner besten Moderatoren blieb Mück fern.

Auf diese Lücken verwies Donnerstag denn auch gleich der Redakteursrat des ORF: "Unter den Abwesenden waren auch etliche, die zwei Tage zuvor bei einer Parteiveranstaltung eifrig applaudierten."

Applaus für Schüssel

Montag saßen ORF-Generaldirektorin Lindner und andere Mitglieder ihres Managements prominent unter bürgerlichen Ministern in der zweiten Reihe, als VP-Chef Wolfgang Schüssel seine Parteifreunde zum Wahlkampfauftakt anfeuerte. Die Spitzen des Küniglbergs klatschten dem schwarzen Spitzenkandidaten Beifall. Ziemlich genau ein Jahr nachdem Lindner und Mück erstmals einem Bundeskanzler eine Rede zur Lage der Nation im ORF, gleich nach der "ZiB 1" ermöglicht hatten. "Hinderlich und kontraproduktiv", protestierte der Redakteursrat gegen Auftritte der ORF-Führung bei Parteievents.

Dienstagfrüh begehrten die Korrespondenten des ORF auf. Zum Auftakt ihrer traditionellen Tagung in Wien hatten sie Lindner eingeladen. Die Generalin musste sich dort harte Fragen anhören: Warum mobbten Betriebsrat und ORF-Verwaltung den schon bestellten Peking-Korrespondenten aus dem noch nicht angetretenen Amt. Lindner konnte sich das laut Ohrenzeugen nicht recht erklären.

Auch der bürgerliche Zentralbetriebsratschef Heinz Fiedler, dessen Sohn das ORF-Büro in Berlin leitet, ging laut Augenzeugen eher unrund aus der Aussprache mit den Korrespondenten. Ihm werden Interventionen gegen einen linken Mann in Peking nachgesagt, er hat nur bestätigt, dass der Mann nicht sein Wunschkandidat war.

Gegen den Zentralismus von TV-Chefredakteur Werner Mück wiederum begehrten zuletzt auch die Direktoren der Landesstudios auf: Bei der jüngsten Managementklausur auf dem Semmering warfen sie Mück vor, er traue ihnen offenbar keine Beiträge für die "ZiB" zu und beschäftige, wo immer möglich, auch für Länderthemen Teams aus Wien.

Streikfrage

Armin Wolf hatte Mittwochabend in der Präsidentschaftskanzlei kaum ausgesprochen. Da fragte ein paar hundert Meter weiter "profil"-Herausgeber Christian Rainer: "Wo gibt es die Streikdrohung der ORF-Journalisten?"

Eine Antwort gab ein langjähriger ORF-Journalist bei der Diskussionsveranstaltung des Vereins Freiraum, einer Gruppe von reformwilligen ORF-Mitarbeitern: "Noch niemand kann die Folgen von Wolfs Rede abschätzen. Die Stimmung könnte kippen." Aber: "Als ich bei einer Betriebsratssitzung Streik vorgeschlagen habe, nahm mich der Zentralbetriebsrat zur Seite und sagte: 'Ich meine es ja nur gut mit dir, aber das ist ein Entlassungsgrund'."

"Lächerliche, dumm-bösartige Erfindungen", sagt Zentralbetriebsratschef Heinz Fiedler: Er sei "seit Jahrzehnten nicht mit dem Thema Streik konfrontiert worden."

Streik etwa der ORF-Information ist tatsächlich ziemlich unrealistisch, trotz all der Widerstandsaktionen der vergangenen Tage.

Mück in Deckung

Chefredakteur Mück bleibt so kurz vor der Wahl der nächsten ORF-Führung im Hintergrund: Zu Wolfs Rede mochte er sich Donnerstag auf Anfrage des STANDARD nicht äußern. Da schickte er Infodirektor Gerhard Draxler vor, der als einziger ORF-Chef auch bei der Verleihung war. Draxler ist kein Kandidat für eine Wiederwahl. Seiner Aussendung kurze Botschaft: keine Rede von Zentralismus.

Armin Wolf fühlt sich von der nach Diktat verreisten ORF-Generaldirektorin missverstanden. Nicht aus "mangelnder Solidarität" habe er seine Rede gehalten, sondern im Gegenteil eben aus Solidarität mit dem Unternehmen, in dem ich seit 21 Jahren mit großer Begeisterung arbeite". Seine Kritik habe er in unzähligen internen Sitzungen schon geäußert, auch gegenüber Vorgesetzten: "Es kann niemanden im Haus überrascht haben."

Vom "Gleichgewicht des Schreckens" im ORF von SPÖ und ÖVP ist laut Wolf nur der Schrecken geblieben, die eine starke Regierungsfraktion dominiere. ORF- und ÖVP-Veteran Kurt Bergmann ist Fraktionsführer der Schwarzen im Stiftungsrat. Das Thema, sagt Bergmann, würde er mit Wolf lieber "bei einem Kaffee" bereden. Auf STANDARD-Anfrage nur so viel: "Eine demokratisch legitime Äußerung."

Die Stiftungsräte Karl Krammer (SPÖ) und Pius Strobl (Grüne) schlossen sich Wolf an. Aber auch der als unabhängig eingeordnete Stiftungsrat und Caritas-Präsident Franz Küberl empfahl den Vortrag den Parteien – als "Meditationstext". (Harald Fidler/Doris Priesching/DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2006)