Auf Pippis, Michels und Idas Spuren sind Familien hier genau richtig.

www.visit-smaland.com/Hasse Bengtsson
Endlich einmal zurückschalten! Ja, vielleicht sogar auf die dritte, das Land ist es allemal wert. Das beweisen die Szenerien, die einem Schwedens Süden soeben beschert: Grüppchen von Birken flitzen am Fenster vorbei, die rauen, silbrigen Unterseiten ihrer tuschelnden Blätter sind kokett nach oben gedreht. Auch helllichte Wiesenstrände flankieren die E4 Richtung Jönköping - und Kühe, die zufrieden in den Untiefen gelber Rapsmeere baden.

Rostrote Häuserklippen und rosarote Fliederbuschinseln tauchen an den Straßenrändern auf, und davor die stumpfen Spitzen weißer hölzerner Lattenzäune, die jetzt, nach dem Fastfood-Fiasko der letzten Autobahnrast, freilich auch ein wenig an die Zinken von Plastikgäbelchen erinnern - so wie das relaxte Fleckvieh an die Kuhfell-Designerstühle des dazu frequentierten Cafés.

Auszublenden und ins Knäckebrot zu beißen wäre in solchen Fällen trotzdem fehl am Platze. Das schuldet man allein schon der spannenden Grätsche zwischen Supermarkt und Landliebe, die den prinzipiell effizienten Norden ja stets charakterisiert. Immerhin ist Schweden kein Heimatroman, und auch kein offenes Buch - das charmante Schweigen der Automaten an den Tankstellen und das Schweigen der Wälder, die gleich hinter den Zapfsäulen beginnen, belegt dies unterwegs. Aber eine Gegend, in der sich Wortfetzen zerlesener Kinderbücher, zu deren Fangemeinde man sich vielleicht selbst einmal zählte, unerwartet zurückmelden können, ist das Land auf alle Fälle. Spätestens wenn man auf den Abzweigern "Vimmerby" liest und hinterher vielleicht "Mariannelund" und dann auch noch "Lönneberga" ist man darüber im Bilde.

das Gfrast von Lönneberga

Eine nach Preiselbeerwäldern und Lakritze vorsortierte Welt tut sich hier auf, mit Pippi-Langstrumpf-Villen, wohin man blickt. Dass Michel, das Gfrast von Lönneberga, am Drehort der TV-Serien nun ausgerechnet als Holzmännchen herumhängt und jeder Kiosk der Gegend "Müsse und Büsse" - die legendäre Mütze und Büchse - verhökert, kann am prinzipiellen Déjà-vu nichts ändern.

Wer von der E4 in Richtung Osten ausschert, betritt ein Stück Schweden, dessen Straßenkarten sich gelegentlich wie Astrid-Lindgren-Bibliografien lesen. Es ist jene schwedische Region, in der die Kinderbuchautorin ihre eigene glückliche Kindheit erlebte und deren Orte, Landschaften und Menschen in ihre Werke einfließen ließ: Terra Lindgreniensis. Småland heißt das gute Stück Land offiziell - eine Provinz mit doppeltem Boden, überlagert bereits im historischen Sinne. Abwechselnd erhoben dänische und schwedische Könige

Ansprüche auf die Region, was in der Regel so weit ging, dass sich die "sma landen", die "kleinen Länder", aus den Kriegen der beiden Rivalen nach Möglichkeit heraushielten. Und dass sie einmal diese Steuern zahlten und einmal jene - und das wäre eigentlich schon das Stichwort, da doch gerade ein neues Wortfetzengespenst aus dem Kinderbuch-Off auftaucht.

"Kumminalsteuer!"

Es schreit laut "Kumminalsteuer!", und irgendwie wirkt das Wort wie ein Schlag in die Magengrube, weil sich mit ihm ein Zitat verbindet, das ein bisschen von jenem lebenslänglichen Elend weiterreicht, zu dem der verdonnert wird, der die Fertiggerichte, in die er unterwegs seine Plastikzinken versenkt, bereits selbst bezahlen muss. "Große Menschen? Haben nur einen Haufen langweiliger Arbeit und komische Kleider und Hühneraugen und Kumminalsteuern", lautet der ganze Sager dazu. Es sollte nicht das letzte Wort bleiben, das Pippi in ihrer angestammten Heimat hat.

Wer in diesem Sommer Småland besucht, kann eine Reihe von Gründen dafür haben: die reizvolle, von Wäldern und Seen gesäumte Gegend etwa, deren Krüppelbirken, Moore und Wollgrasteppiche im Store-Mosse-Nationalpark wie ein versehentlich nach Süden verrutschtes Stück Lappland wirken.

Vielleicht will man die Gegend aber auch bloß vor dem Run auf die anstehenden Festivalaktivitäten erleben, die im kommenden Sommer den runden Hunderter der 1907 hier geborenen Astrid Lindgren begleiten werden - und dabei in aller Ruhe mit einem Veteranen der Pippi-Langstrumpf-Filme über Herrn Nilsson und alte Zeiten plaudern. Der Schauspieler heißt Rosalia und ist eigentlich ein Herr im roten Federnkleid, der steppen kann und fliegen und fünfzig Wörter krächzen und der sein ganz privates Taka-Tuka-Land in Jönköping gefunden hat. "Tropikhuset" heißt es - Tropenhaus. Die Adresse des frechen roten Aras aus den Pippi-Filmen, der mittlerweile in den Sechzigern ist, ist bestenfalls ein Kickstart in die mit Lindgren'schen Handlungssträngen dicht durchwirkte Region.

"Wo ist Bullerbü?"

Das erfährt auch, wer mit dem Reiseführer "Wo ist Bullerbü?" durch Småland zieht und nach akkurater Anleitung Ronja Räuberstochters Wälder, die drei Höfe von Bullerbü oder Michels Holzschuppen besucht - Wege allesamt, an denen sich reale Drehorte und assoziative Landschaften der Autorin reizvoll überlagern.

Intim fallen die Begegnungen mitunter aus. Das Geburtshaus der Lindgren in Näs bei Vimmerby, das "Rote Haus", wird noch immer bewohnt, während dahinter eine Kuhweide, für deren Erhaltung sich die Schriftstellerin eingesetzt hatte, zu den rar gewordenen Beispielen der typischen "svenska hagar" zählt, der von hölzernen Flechtzäunen und Steinmäuerchen umgebenen Weide, die halb Wald, halb Wiese ist und Bäume und Sträucher ebenso umfasst wie Fels, Steine, Moos.

"Wir spielten und spielten und spielten, so dass es das reine Wunder ist, dass wir uns nicht zu Tode gespielt haben", sagte Astrid Lindgren einmal über die eigene Kindheit, die zu einem guten Teil in solcher Umgebung stattfand und sich an festlichen Ausnahmetagen ins nahe Vimmerby verlagerte, jene "kleine, kleine Stadt", die als Ausgangspunkt für Bonbon-Großeinkäufe und Viehauktionen zur Romanvorlage wurde und deren 9000 Einwohner heute jährlich 300.000 Besucher verkraften müssen.

"Pippi-Land"

Dass da keine Zeit ist, mit dem Kopf in der Suppenschüssel herumzukurven, wissen auch die Astrid-Lindgren-Forscher des regionalen Studienzentrums und erst recht die Schauspieler der "Astrid Lindgrens Värld" - einem Art "Pippi-Land" mit Häusern in Kindergröße und mit Alfreds, die Linas pünktlich Körbe geben.

Dabei muss es noch nicht einmal unbedingt Bullerbü oder die Trissebude des Kattulter Hofes sein, um Smålands Barfußromantik schätzen zu lernen. Authentischere Schlaglichter auf die retroromantischen Seiten der so nicht mehr vorhandenen, agrarisch geprägten Gesellschaft kann man vor allem auch jenseits der ganzen Lindgren-Show finden. Ein kurzer Blick in die Schau-Bäckerei der Knäckebrot-Spezialisten von Grännaknäcke lässt dies erahnen. Und wer mag, kann im Kulturreservat Åsens By, im småländischen Hochland lernen, die Sense zu schwingen - eine wertvolle Technik für die Pflege von naturnahen Wiesen, wie man vor Ort erfährt.

Drei Höfe mit Scheunen, Schuppen und Ställen liegen hier inmitten von Wiesen und Weiden, die die moderne Landwirtschaft irgendwie übersah. Wer von hier aus über Obstwiesen und Viehgatter zum kleinen See spaziert, ist dabei nie allein. Eine Idee von Miiichel!! und Ida geht mit einem mit. (Der Standard/rondo/19/05/2006)