Eine Ansammlung der seltsamen Riesenröhrenwürmer in 2500 Metern Meerestiefe. Die Tiere fressen und verdauen zwar, haben aber weder Mund, Darm noch Anus.

Foto: M. Bright

Innenansicht: Links der leere Babywurm, daneben der Jungwurm mit dem Bakteriensack (rot).

Foto: Nussbaumer
Die dürfte es nach bisheriger Lehrmeinung gar nicht geben: Über den Umweg einer Hautinfektion finden die beiden zusammen.

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London/Wien - Am East Pacific Ridge, westlich von Mexiko, blasen vulkanische Aktivitäten in der Erdkruste eine kochend heiße und hoch giftige Brühe aus Schwefelwasserstoffen und Schwermetallen aus dem 2500 Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Boden in die Tiefsee. Ein herrlicher Platz für Monika Bright und Andrea Nussbaumer von der Universität Wien.

Den Meeresbiologinnen hat es das üppige Leben in dieser absoluten Dunkelheit angetan, das von dieser Giftsuppe genährt wird. Ganz besonders am Herzen liegt den beiden der Riesenröhrenwurm, ein seltsames Ding, das zwar frisst und verdaut, aber weder Maul, Darm noch Anus hat.

Dass dieses komische Tier zu den am schnellsten wachsenden überhaupt gehört, hat Bright, die mit einem Forschungs-U-Boot dem East Pacific Ridge schon seit 1998 auf den Grund geht, längst herausgefunden. Und heute, Donnerstag, berichtet das britische Wissenschaftsmagazin Nature, dass Bright und Nussbaumer jene einzigartige Symbiose enträtselt haben, die den Riesenröhrenwurm so leben lässt. Eine Erkenntnis, die eine bisherige Lehrmeinung über symbiontische Lebensgemeinschaften widerlegt.

Kleine Giftverwerter

Wie also kommt das Futter in den Wurm ohne Öffnung? Über Symbionten: über spezielle Bakterien, die Schwefel und andere Chemie der ausgespuckten Giftsuppe auf dem Meeresgrund verwerten. In einem besonderen Organ im Inneren, dem Trophosom, tragen die erwachsenen, mitunter bis zu 40 Zentimeter langen Würmer die Bakterien stets mit sich herum. Diese Bakterien werden über das Blut der schlauchförmigen Würmer mit den Gasen versorgt, ernähren sich von diesen und wandeln sie in Nahrhaftes für den Wirtswirt um.

So weit so gut. Wie aber kommen die Symbionten in den Wurm ohne Öffnung? Schließlich besitzen frisch geschlüpfte Riesenröhrenwürmchen - vom Fachmund Vestimentifera geheißen - weder diese Bakterien noch das Organ, sie zu beherbergen. Die Biologinnen beschreiben in Nature des Rätsels Lösung ähnlich einer Hautinfektion.

Kurz nachdem sich eine Röhrenwurm-Larve in einem geeigneten Habitat mit der richtigen Mischung an Chemikalien festsetzt, wandern die Bakterien durch die Oberhaut und Muskelschichten bis zum Gewebe zwischen dem rückseitig gelegenen Blutgefäß des Röhrenwurms. Dort angelangt, werden die Symbionten in Bläschen eingeschlossen und initiieren selbst die Entwicklung des Trophosomes.

Sobald diese einzigartige Symbiose begonnen hat, zerstört der jugendliche Röhrenwurm alle weiteren Bakterien durch programmierten Zelltod in der Haut und Muskelschicht, so dass es zu keinen neuen "Infektionen" kommt. Dabei handelt es sich um einen Abwehrmechanismus gegen Bakterien, der auch bei Menschen als Immunantwort bei Krankheiten erregenden Infektionen bekannt ist.

Nach bisheriger Lehrmeinung dürfte es das gar nicht geben: Bis heute ging man davon aus, dass für eine solche Symbiose die Symbionten im Larvenstadium der Würmer über eine vermutete Mundöffnung mit der Babynahrung aufgenommen werden. Falsch gelehrt: Die Würmer kommen schon völlig zu auf die Welt. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 5. 2006)