Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) darf Journalisten nicht mehr als Quellen anzapfen, wenn er nach undichten Stellen im eigenen Haus sucht. Mit dieser Weisung versucht Berlin Druck aus der Spitzelaffäre zu nehmen.

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"Das Bundeskanzleramt hat heute angewiesen, dass bei operativen Maßnahmen seiner Eigensicherung keine Journalisten als Quellen zu führen sind." Diese etwas geschraubte Anweisung teilte Ulrich Wilhelm, Sprecher der deutschen Kanzlerin, Montag Journalisten mit. Soll heißen: Wenn die Schlapphüte vom Auslandsgeheimdienst wieder einmal keine Ahnung haben, wo in ihren Reihen Informationen nach außen dringen, müssen sie sich etwas anderes einfallen lassen, als Journalisten zu bespitzeln.

Mit gewisser Befriedigung nahm die Hauptstadt-Presse auch auf, dass der BND dem Kanzleramt noch diese Woche Bericht über seine Beschattungen erstatten muss. Wie berichtet, herrscht in Deutschland große Empörung über die ans Licht gekommenen Aktivitäten des BND, und die Frage nach der politischen Verantwortung wird immer lauter. Denn geäußert hat die schweren Vorwürfe nicht irgendein anonymer Informant, sondern Bernd Schmidbauer. Er war bis zum Jahr 1998 unter Helmut Kohl Kanzleramtsminister und damit als Geheimdienstkoordinator für die Aufsicht über den BND zuständig.

Seine Enthüllung: Der damalige BND-Chef Hansjörg Geiger hat 1996 den Spitzeleinsatz eines Reporters angewiesen, um ein Leck beim Geheimdienst auszuforschen. Das Kanzleramt sei jedoch nicht informiert worden.

"Schweiger" und "Dali"

"Schweiger" und "Dali" lauteten die Decknamen für den freiberuflichen Journalisten und Autor Willy D., der den BND in 856 Meldungen bis 1998 darüber informierte, was die Kollegen vom Spiegel, der Süddeutschen Zeitung oder des Hamburger Abendblatts über den BND recherchierten. Dafür soll er 335.000 Euro kassiert haben. Dann berichten Medien noch über einen 2002 angeworbenen Spitzel mit dem Decknamen "Sommer". Er hat sich für die BND-Recherchen eines Kollegen der Berliner Zeitung interessiert. Und BND-Informant "Bosch" brachte Informationen über einen Focus-Reporter. Ex-BND-Chef Geiger weist die Vorwürfe zurück und erklärt, er habe keine Bespitzelung angeordnet, sondern nur angeordnet "mögliche Abflüsse aus dem Dienst durch Mitarbeiter zu untersuchen". Er räumt aber ein, dass man mit Journalisten zusammengearbeitet habe.

Kritik kommt aus allen Parteien. So meint etwa der Vizechef der Unionsfraktion: "Auch Nachrichtendienste dürfen nur im Rahmen ihrer Befugnisse agieren. Diese sind hier offenbar deutlich überschritten worden."

In Berlin rechnet man auch mit personellen Konsequenzen, wenn die Regierung Näheres über den Sachverhalt weiß. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD; Printausgabe, 16.6.2006)