derStandard.at: Was ist Integration? Wie weit soll, darf, muss Integration gehen?

Bauböck: Integration bezeichnet einerseits den sozialen Zusammenhalt innerhalb einer Gesellschaft und andererseits den Zugang von Einwanderern und Minderheiten zu gleichen Rechten und Chancen. Beide Bedeutungen beeinflussen sich wechselseitig. Die Integration von Immigranten verändert auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft, weil sich eine Einwanderungsgesellschaft nicht mehr als geschlossene nationale Abstammungsgemeinschaft definieren kann. Integration ist niemals ein vollständig abgeschlossener Prozess, solange es Neuzuwanderung gibt.

Assimilation ist in mancher Hinsicht eine Begleiterscheinung von Integration, etwa wenn in der zweiten und dritten Generation ein Sprachwechsel zur Sprache des Aufnahmelandes stattfindet. Andererseits darf eine demokratische Gesellschaft von Immigranten nicht erwarten, dass sie auch ihre religiösen Überzeugungen ablegen oder ihre sozialen und kulturellen Bindungen an das Herkunftsland aufgeben.

derStandard.at: Was sind die idealen Voraussetzungen für eine gelungene Integration?

Bauböck: Die institutionellen Voraussetzungen sind, dass das Immigranten Zugang zu sicherem Aufenthalt, Familiennachzug, zur Staatsbürgerschaft und damit auch zum Wahlrecht haben, dass sie am Arbeitsmarkt mit der Niederlassung Einheimischen gleichgestellt und vor Diskriminierung geschützt werden und dass ihre Kinder über das Bildungssystem den sozialen Aufstieg schaffen.

Dazu kommen "klimatische" Voraussetzungen, dass Einwanderung in der Gesellschaft insgesamt als Chance und nicht als Gefahr gesehen wird, dass in der Politik ein Konsens über die Ächtung fremdenfeindlicher Parolen und Parteien erzielt wird, dass es in Parlamenten, Medien und Unternehmen prominente Rollenvorbilder mit Migrationshintergrund gibt und natürlich auch, dass die Sprecher von Migrantenorganisationen sich aktiv für den Spracherwerb und Respekt vor den Normen der Aufnahmegesellschaft einsetzen.

derStandard.at: Wie sieht die Situation in der Realität aus? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Bauböck: Handlungsbedarf gibt es in Österreich bei allen gerade genannten Punkten. Besonders gravierend sind die hohen Hürden für die Staatsbürschaft und die daraus folgende schwache politische Vertretung von MigrantInnen. Das führt dazu, dass der Anreiz für Politiker, mit fremdenfeindlichen Parolen Stimmen zu fangen, viel größer ist als jener, die Interessen der Immigranten zu vertreten.

derStandard.at: Wie gut sind die Muslime in Österreich integriert, wie ist die Situation im europäischen Vergleich? Gibt es abgeschlossene, unabhängige Studienergebnisse?

Bauböck: Wenn man die sozialen Indikatoren für Integration betrachtet, so gibt es in Österreich vergleichsweise weniger Arbeitslosigkeit und weniger Konzentration in städtischen Ghettosiedlungen. Andererseits sind die Daten über die Bildungschancen gerade bei Jugendlichen aus der Türkei alarmierend. Die Integration der Muslime als Religionsgemeinschaft ist in Österreich im europäischen Vergleich relativ gut, weil der Status des Islam als anerkannte Religionsgemeinschaft eine gute Kooperationsbasis zwischen Vertretern des Islam und den Behörden schafft.

Zweifellos gibt es auch in Österreich ein Problem mit radikalen Islamisten oder mit Zwangsheiraten. Der Nährboden dafür ist schlechte soziale und politische Integration. Kopftuchverbote wie in Frankreich oder Deutschland lösen diese Probleme nicht, sondern verschärfen sie.

derStandard.at: Mit welchen ideologischen Vorurteilen haben Sie in der Diskussion zu kämpfen?

Bauböck: In letzter Zeit nicht mehr nur mit der explizit fremdenfeindlichen Ideologie, die im österreichischen Parteienspektrum immer schon stark vertreten war, sondern auch mit Vorurteilen laizistischer Liberaler und Linker, die den Islam als Religion für die schlechte Integration von Immigranten verantwortlich machen. Damit spielen sie gerade islamistischen Fundamentalisten in die Hände, die dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen behaupten: dass nämlich die religiösen Gebote des Koran mit demokratischen Normen wie der Gleichheit der Geschlechter unvereinbar seien.

Dass Integration nicht eine Frage religiöser Texte ist, kann man daran sehen, dass es in Staaten wie Kanada oder den USA auch nach dem 11. September kaum besondere Integrationsprobleme für Muslime gibt. Das hängt einerseits mit der starken Tradition religiöser Toleranz zusammen und andererseits damit, dass dort viel mehr Muslime Angehörige der Mittelschichten sind.

derStandard.at: Warum spricht man nie von der Integration zum Beispiel der Asiaten?

Bauböck: Asiatische Einwanderer gelten vor allem in den USA als erfolgreiche Immigranten, während dort nicht die Muslime, sondern die katholischen Mexikaner von manchen (wie Samuel Huntington) als Assimilationsverweigerer gesehen werden. Die Erklärung für den raschen Aufstieg asiatischer Einwanderer ist einerseits deren starke Bildungsorientierung und andererseits gerade das dichte ethnische Netzwerk und die Einstiegshilfen, welche die „Parallelgesellschaften“ der Chinatowns und Koreatowns den Neuankömmlingen bieten.

derStandard.at: Seriöse Willenserklärung oder Wahlkampf? Begrüßen Sie Prokops Ankündigung aus der Tiroler Tageszeitung, den Integrationsfonds aufzustocken?

Bauböck: Der Österreichische Integrationsfonds war in der Vergangenheit nur für anerkannte Flüchtlinge zuständig und koordiniert jetzt die Umsetzung der verpflichtenden Deutschkurse im Rahmen der Integrationsvereinbarung. Es ist immer gut, wenn es mehr Mittel für Integration gibt, aber damit werden die strukturellen Voraussetzungen noch nicht verbessert.

Auch eine Studie, deren politische Botschaft lautet, dass 45 Prozent der österreichischen Muslime nicht integrationsbereit sind, hilft nicht gerade bei der Verbesserung des Klimas. Ich würde vielmehr vorschlagen, demnächst zu evaluieren, ob sich durch die Einführung der verpflichtenden Kurse die Sprachkenntnisse und Aufstiegschancen der Immigranten signifikant verbessert haben. (mhe)