Wissen Sie um die sieben "Todsünden"? Oder waren es acht "Laster"? Worin unterscheiden sie sich von den "Zehn Geboten"? Letzten Sonntag in der Roten Bar im Volkstheater eine öffentliche Debatte über ein neues Buches dazu*: Was haben die sieben Todsünden uns Heutigen in einer säkularisierten Welt noch zu sagen? Oder wirken sie unerkannt und stumm in uns weiter? Denn wir Gottlosen oder nur noch verwaschen Glaubenden werden durch Laster nicht "von Gott getrennt" wie die Theologie das will, aber von uns selbst entfremdet, in unseren Potenzialen beschränkt. Doch haben sich Todsünden wie Hochmut, Neid, Habgier, Zorn, Völlerei, Wolllust und träge Gleichgültigkeit in unserer Welt nicht vielmehr als Tugenden zu Erfolg und Genuss erwiesen? Haben sich eitle Selbstgefälligkeit und spitze Ellbogen cleverer und strebsamer Arrivisten, die "nur keine falsche Bescheidenheit" wollen, nicht als Rezepte für Sieg und Auf-stieg zu Macht und Geld gezeigt? Todsünden nicht mehr als teuflische Verführungen, bedroht von ewigen Höllenstrafen, sondern banaler Mainstream, schlimmstenfalls Ausrutscher, schlechte Gewohnheiten, Marotten oder Willensschwäche . . .

Inzwischen werben von Magnum-Eis bis Mercedes-Benz Marken aller Art mit vermeintlicher Attraktivität "geiler" Todsünden. Was freilich etwa an "Geiz geil" sein soll, ist mir bis heute rätselhaft: Kaum etwas ist abstoßender als zwanghaft-anale Besitzgier und Kleinlichkeit, kaum etwas anziehender als Großmut und verschwenderische Freigebigkeit. Dass freilich "smarter", kalkulierter Konsum Generosität erleichtern kann, hat mit "schlauem" Einkauf, aber nichts mit "Geiz", mit Krallen und Horten zu tun. Die moderne Welt ist voller klassischer Laster: eine mürrisch-verdrossene Grundstimmung, die nicht nur im "Road Rage" der Autoraser und Schimpfer rasch in Zornausbrüche kippt, sich in Sündenbock-Jagden auf Schwache und Fremde entlädt oder am Lynchen gefallener Idole von gestern delektiert. Eher selbstgerechte Selbsttäuschungen als bewusste Heuchelei: Dumpfe Wut geriert sich als "heiliger Zorn" über empörendes Unrecht; Indolenz als Neutralität und kluges Sich-Heraushalten; Gier auch als lustige Schnäppchenjagd; bleicher Neid als feiner Gerechtigkeitssinn.

Im "Neidkraftwerk" Konsumgesellschaft (Sloterdijk) belebt und durch-dringt giftiger Sozialneid alles, ist jedoch als peinlichstes, beschämendstes Laster völlig tabuisiert: Je egalitärer die Grundnormen, je härter der Statuswettlauf und je unglaubwürdiger der Hinweis auf "Leistung" als Kriterium für Einkommens- und Vermögensunterschiede, desto universeller der Neid, während sich gleichzeitig die Neider als "Neidhammel" und schlechte Verlierer bloßstellen.

Wo wir uns wie der Prediger Tony Blair "sin taxes" wünschen, sagen wir etwas über unsere Vorlieben und Feindbilder aus: Steuern auf Alkohol, Tabak, Cholesterin, Zucker und Softdrinks wollen wir als Puritaner und Gesundheitsapostel wie Blair; "Sünden-Steuern" auf Benzin, Hubraum, PS, SUVs, Luxusautos, oder Erdbeeren im Winter als Ökologen; als "christian socialists" aller Spielarten besteuern wir Spitzenverdiener, Vermögen, Erbschaften und "unproduktive" Finanzspekulation; und im Nachkriegsösterreich gab es sogar extra Steuern auf Schaumwein oder harmlose "Vergnügungen" wie Kinobesuche.

Das kostspieligste Laster in der Wissensgesellschaft ist aber selbst verschuldete Dummheit, die größte Todsünde die Verdummung anderer durch vermeintliche "Eliten" und "Experten". Adornos "Intelligenz ist heute eine moralische Kategorie" war nicht selbst Hochmut, sondern ein Plädoyer für Verstand und Herzensbildung. *H. Ernst, Wie uns der Teufel reitet. Von der Aktualität der 7 Todsünden (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.5.2006)