Michal Hvorecky meint, im modernen Europa sei es nicht mehr wirklich wichtig, woher man kommt. "Wichtig ist, was ich tue."

Zur Person

Michal Hvorecky
, geboren 1976, lebt in Bratislava. Bisher erschienen zwei Romane und Erzählbände. Er gehört zu den erfolgreichsten "neuen" Autoren in Tschechien und der Slowakei. Sein erstes Theaterstück wurde 2005 in Prag uraufgeführt. Mehrere Literaturpreise und Stipendiate, u. a. von Die Erste Bank Wien, Literarisches Colloquium Berlin, Stiftung Brandenburger Tor. "City: Der unwahrscheinlichste aller Orte", übersetzt von Mirko Kraetsch, ist die erste Veröffentlichung Hvoreckys auf Deutsch.

Foto: STANDARD/ Mandl

Michal Hvorecky:
"City. Der unwahrscheinlichste aller Orte"
Roman. Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch. € 20,40/280 Seiten. Tropen Verlag, Berlin 2006

Buchcover: Tropen Verlag
STANDARD: Sie haben mit Ihrem zweiten Roman, "City: Der unwahrscheinlichste aller Orte", im deutschen Sprachraum Furore gemacht. Sie beschreiben darin die Internetsucht und die Übersiedlung der Hauptfigur nach Supereuropas Hauptstadt, "City", wo die Mehrzahl der Menschen gesponserte Markennamen tragen. Nike oder Nokia heißen die Frauen, Apple oder Samsung die Männer. Wohin gehören denn Sie? Michal Hvorecky: Ich fühle mich immer noch als Tschechoslowake - ich bin dort vor 30 Jahren geboren und auch aufgewachsen. Meine Wurzeln sind in Prag, Bratislava, aber auch in Polen und Deutschland, mein Großvater hieß Kirchmayer. Deutsch ist darum auch wie meine zweite Muttersprache, es war einfach Tradition, Deutsch zu lernen, in der Schule, im Gymnasium.


STANDARD: Ist Supereuropa aus Ihrem Roman auch Ihr europäisches Ideal?
Hvorecky: Nun, es ist für unsere Generation unvorstellbar, ein Visum zu brauchen. Ich kann als Slowake in Österreich zwei Monate herumpennen, es ist nicht mehr wirklich wichtig, woher ich komme. Wichtig ist, was ich tue, in meinem Fall: Bücher schreiben. Im Gegensatz dazu: Ein Freund von mir ist ein bekannter ukrainischer Schriftsteller. Bei ihm interessiert sich keiner für seinen Roman, sondern dafür, woher er kommt. Diese drei Kilometer von der Ostslowakei über die Grenze zur Ukraine machen diesen Riesenunterschied. Bei Europa denke ich immer wieder, wie ähnlich wir uns sind: ähnliche Klamotten, ähnliche Haarschnitte. Auch das Warenangebot und die Geschäfte ähneln einander immer mehr. Europa ist vor allem Wirtschaftsgebiet. Wir in der Slowakei haben die Wende vom realen Sozialismus zum Turbokapitalismus rasch vollzogen.


STANDARD: Wo steht jetzt für Sie die Kompassnadel zwischen diesen Extremen?
Hvorecky: Diese Kompassnadel sehe ich beim Turbokapitalismus stehen bleiben. Aber es gibt dadurch diese Offenheit und Durchlässigkeit, und das hat viel Positives. Etwa die Rückkehr der Multikulturalität. Es ist heute wieder ganz selbstverständlich, dass die Nationalitäten an den Tischen zusammensitzen.


STANDARD: Das Europäische an Supereuropa und City in Ihrem Roman?
Hvorecky: Der Held, Irvin Minsky, versteht Europa ganz neu. Er reist ohne Beschränkung. Das ist auch die Realität. Meine Freunde entfalten sich in den kreativen Bereichen Theater, Grafik, Design oder Bildende Kunst. Und sie reisen. Es gibt beispielsweise 30.000 junge Slowaken in London. Ich komme gerade aus Deutschland, wo die Tristesse als Stimmung vorherrscht. Dazu im Kontrast sind wir Slowaken die letzten Optimisten Europas. Die Tristesse wird überall einmal hinkommen. Aber wir in Bratislava müssen uns sagen: "Hey, es geht uns doch relativ besser als vor 16 Jahren!" Und wir sehen Unzufriedenheit eher als Herausforderung.


STANDARD: Wie sieht denn Hvorecky City im Unterschied zur City in Ihrem Roman aus?
Hvorecky: Hvorecky City würde wirtschaftlich nicht so gut funktionieren. Sie hätte voraussichtlich sehr viele Buchhandlungen und Bibliotheken.


STANDARD: Und Internet?
Hvorecky: Natürlich. Internet. Ich bin jetzt übersiedelt und war zwei Tage ohne Netz. Das war schwierig.


STANDARD: Erleben Sie noch ein West-Ost-Gefälle, ein Herabschauen des Westens auf die armen Nachbarn, wenn Sie nach Österreich kommen?
Hvorecky: Ich hatte ja schon 2003 in Wien gelebt, da hatte ich ein Literaturstipendium und bekam Kontakt zur Literaturszene. Nein, ich spüre keine Arroganz. Dumme Leute gibt es eben auf beiden Seiten. Und wenn ich in Bratislava in der Oper bin, habe ich das Gefühl, in Wien in der Staatsoper zu sitzen, weil so viele Österreicher da sind.
STANDARD: Welche sonstigen Gemeinsamkeiten sollten denn Österreich und die Slowakei haben?
Hvorecky: Ich hoffe, dass das Gemeinsame noch viel lebendiger wird. Für mich ist das ein Raum: Brno, Bratislava und Wien. Und ich möchte, dass einmal im Monat ein österreichischer Autor eine große Lesung in Bratislava macht.

STANDARD: Welche Aufgabe hätten darüber hinaus die Kunstschaffenden? Hvorecky: Wir, aber nicht nur wir Schriftsteller, müssen uns gegenseitig übersetzen, um das Verständnis verstärkt zu fördern. Und dazu werde ich auch meinen nun bekannter werdenden Namen einsetzen. Also, Leute, meldet Euch! (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.5.2006)